Über das literarische Interesse von Dorfkindern

 

Examensarbeit zur 1. Prüfung für das Lehramt an Volksschulen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dozent:                                                         Verfasserin:

Prof. Dr. Zietz                                               Rose-Marie Rodenstein

                                                                        März 1963


Gliederung

A.               Entwicklung des Kindes

I.   Allgemein

II.   Auf dem Lande

B.               Untersuchungen über das literarische Interesse bei den Schulkindern des Dorfes Eilum

I.  Das Dorf Eilum und seine Einwohner

II. Die Schulkinder in Eilum

III. Die Untersuchungen

a)     Interesse am Buch überhaupt und tägliche Lesezeit der Kinder

b)     Die Einstellung der Eltern zur Lektüre der Kinder

c)     Der Bücherbesitz der Eilumer Kinder

d)     Das Interesse an einzelnen Buchtypen

1.    Interesse an Märchen

2.    Interesse an Tiergeschichten

3.    Interesse an Comic strips

4. Interesse an Sagen

5. Interesse an Abenteuergeschichten

6. Interesse an Mädchenbüchern

7. Interesse an Groschenheften

8. Interesse an Jugendbüchern

e)      Das Interesse an Zeitungen

1.    Interesse an Illustrierten

2.    Interesse an Tageszeitungen

f)       Die Stärke des Interesses an den verschie­denen Buchtypen in den einzelnen Jahrgängen, errechnet aus dem in vier Wochen gelesenen Stoff

IV. Untersuchungen mit dem Bücherkatalogtest von M. Tramer

a)     Aufbau und Sinn des Testes

b)     Bücherkatalog

c)     Die Ergebnisse

C. Zusammenfassung

Anmerkungen

Literaturverzeichnis


A. Die Entwicklung des Kindes

I. Allgemein

Charlotte Bühler sagt, dass wir den Lebenslauf des Menschen als einen kontinuierlichen Prozess verstehen müssen, als Vorgang, als Bewegung.1) In diesem Prozess lassen sich mehrere Phasen erkennen, deren Symptome sich bei jedem Menschen mehr oder weniger zeigen.

Zum Zwecke dieser Arbeit interessieren uns nur die Phasen zwischen dem sechsten und vierzehnten Lebensjahr, doch seien hier die beiden ersten Phasen vor dem Eintritt in die Schule kurz erwähnt, so wie sie Charlotte Bühler dargestellt hat:

"In der ersten Phase des ersten Lebensjahres führt die Bewegungsgestaltung zu personaler Zentralisation der Antriebe und im Objektiven zur Erfassung der  Dingeinheit." 2)  '

"In der zweiten Phase des zweiten bis vierten Lebensjahres werden in Akten der Setzung und der persönlichen Stellungnahme Sinn und Wert realisiert." 2)

Mit den folgenden Phasen soll sich hier nun eingehender beschäftigt werden. Die dritte Phase dauert vom fünften bis zum achten Lebensjahr und "bringt in harmonischem Einklang der persönlichen Einordnung in Gemeinschaft und der Hingabe an Material Pflicht und Leistung, Arbeit und Werk." 3) Wir treffen in dieser Phase ein Kind an, dessen Denken sich langsam vom Märchenhaften und Magischer zum Realistischen entwickelt. Mit sechs Jahren ist das märchenhafte Denken noch am stärksten. Die vorherrschende Tätigkeit des Kindes ist das Spiel. "Im Illusionsspiel kommt die Bereitschaft zu phantastischer Einfühlung, im Bewegungsspiel der Bewegungsdrang des selbständiger gewordenen Kindes zum Ausdruck." 4) Noch ist das physiognomische Weltbild nicht ganz verschwunden, so zeigt sich doch schon ein erwachender Realismus. Auch entwickelt das Kind jetzt Interesse für eine Tätigkeit. Das heißt, dass es nicht mehr nur für kurze Zeit an eine Sache gefesselt wird, sondern dass es sich einem Sach- oder Arbeitsgebiet aktiv zuwendet. Allerdings erschöpft sich dieses Interesse oft in einem gefühlshaften Beteiligtsein, es fehlt ein Urteilen und Kritisieren, ein klares Abwägen nach innen und außen. 5)

Die sechs- bis neunjährigen Kinder fühlen sich am meisten vom Märchen angezogen, denn es kommt dem Hunger des Schulkindes nach Erlebnissen und neuen Eindrücken, nach Spannung und Abwechslung entgegen, wobei alles in eine Wunderweit verlegt ist, die von dem größten Teil der Kinder kritiklos angenommen wird. Daher nennt Charlotte Bühler diese Phase "das Märchenalter".6) In einem Punkt sind sich aber die für diese Arbeit herangezogenen Psychologen nicht einig. Hansen sagt, dass die Grimmschen Märchen der Urform des Märchens, dem Zaubermärchen, nahestehen, "dessen ganzer Ablauf unter der Leitung von unverständlichen Kräften und Dämonen steht, und daher keinen Raum für menschlich überlegte und motiviert« Handlung lässt. Ein Kind kann aber das Menschliche nachfühlen und lehnt daher die Märchen der Brüder Grimm ab." 7)  Charlotte Bühler dagegen meint, daß gerade das Außergewöhnliche und Wunderbare die Kinder fesselt, so daß die Grimmsehen Märchen von den Kindern gern gelesen werden. 8) Vielleicht ist dieser Unterschied daraus zu erklären, dass Hansen seine Beobachtungen eine Reihe von Jahren später gemacht hat, und dass sich im Laufe der Zeit die Interessen der Kinder gewandelt haben. - Das Interesse am Märchen wird von beiden Geschlechtern geteilt, doch tritt es bei den Mädchen stärker hervor und dauert länger an.

Zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahr erfolgt bei den Kindern eine deutliche Umstellung, womit die Kinder in die vierte Phase eintreten, die "einerseits die Zuwendung zum Objekt im stärksten Aufschwung der Wissbegier zu wissensdurstiger Intention auf die Wirklichkeit, andererseits die erste Intention auf persönliche Freiheit zur Aufhebung des Ich  bringt." 9) Während dieser Phase, die vom neunten bis zum dreizehnten Lebensjahr dauert, zeichnen sich die Kinder durch eine besondere Wissbegier aus, wobei der Akzent auf den Begriff und Tatbestand der Wirklichkeit gelegt wird. "Die neue Einstellung bringt eine Abwendung von der unmittelbaren sinnlichen Gegebenheit und eine Hinwendung zu den erkennbaren Wirkungszusammenhängen." 10)  Die Wirklichkeit wird jetzt überaus wichtig. In dieser Periode unterscheiden sich auch beide Geschlechter wesentlich. Die Jungen werden hauptsächlich von technischen Dingen angezogen, während die Mädchen sich mehr für das Häusliche interessieren. Auf dem technischen Gebiet sind die Jungen den Mädchen weit voraus. "Dieses Zurückbleiben hinter den Knaben ist natürlich nicht als Entwicklungs-, sondern als Begabungsfaktor zu deuten, da sonst in allen Punkten die Entwicklung der Mädchen der der Jungen voraneilt, nicht nachhinkt." 11) Das Mädchen hat also zur Wirklichkeitsbemeisterung vom spezifisch Technischen her keine Veranlagung, während es in vielen anderen Gebieten dem düngen überlegen ist.

Im Spiegel der literarischen Interessen der Kinder sehen wir erst einmal einen Umschwung vom Märchenalter zum "Robinsonalter", 12) dann aber auch eine

Scheidung der Interessen von Mädchen und Jungen.

Die Kinder wenden sich vom Märchen ab, weil sie "bloß Märchen" sind, in denen doch alles "nicht wahr" ist. Die neue Lektüre wird dafür als wirklichkeitswahr hingenommen. "Ihr Wirklichkeitsanspruch zeigt sich in genaueren Orts-, Landschafts- und Milieubeschreibungen, in einer genauen zeitlichen Abpassung der aufeinander bezogenen Handlungsabschnitte, vor allem aber darin, dass magisch-dämonische oder göttliche Eingriffe gänzlich fehlen und das Geschehen auf natürliche Kausalität, auf Tatkraft und Scharfsinn der handelnden Personen zurückgeführt wird." 13)

Bei den Jungen wird nun die Handlung in fremde Länder, ferne Zeiten, in Krieg oder Fremdenlegion, Wildnis oder Kolonien verlegt. Die Idealgestalt des Jungen ist der heldische Mensch, der in höchster Gefahr mit Naturgewalten und wilden Menschen ringt, der manchmal unterliegt, zum Schluss aber immer Sieger bleibt. Die Charaktere werden in Schwarz-Weiß-Manier nur in groben Zügen dargestellt, sie stellen keine Anforderungen an das Verstehen und psychologische Eindringen.

Die Mädchen sind in der Auswahl ihrer Lektüre nicht so ausgeprägt wie die Jungen. Die Mädchengeschichte tritt, zwar in den Vordergrund, doch liest das Mädchen daneben noch. Märchen, auch Jungengeschichten, ja sogar Abenteuererzählungen, während die Jungen nie Mädchengeschichten lesen. Diese Mädchengeschichten spielen meistens im eigenen Land, in der Familie, in der Schule, auf Reisen oder in der Jugendgruppe. Die Hauptperson ist oft ein Mädchen, das sich mit den Schwierigkeiten der eigenen engeren Umgebung auseinandersetzt. In der Vorpubertät genügen diese Kindergeschichten nicht mehr, und die Mädchen greifen zur so genannten Backfischliteratur , die in ihrer Qualität zur Kitschliteratur gehört. Sie enthält literarisch und pädagogisch wenig Wertvolles, genau wie Groschenhefte von Tarzan, Akim, usw., die in diesem Alter von den Jungen gelesen werden.

Bei den Mädchen führt die Entwicklung von dieser Lektüre unmittelbar zur Novelle und zum Roman der Erwachsenen, während für die Jungen die Abenteuerlektüre sehr viel länger im Mittelpunkt bleibt.

Auch beim Lesen der Zeitung zeigt sich ein Unterschied zwischen den Mädchen und den Jungen. Die Mädchen lesen hauptsächlich Familienanzeigen, Witze und Unglücksfälle, während sich die Jungen mehr für Sportnachrichten, Polizeiberichte und Gerichtsfälle interessieren.

Nach dem dreizehnten Lebensjahr treten die Jugendlichen in die fünfte Phase ein, die bis zum neunzehnten Lebensjahr dauert. "Sie setzt in erster intendierender Hingabe das Du und im Sachlichen über die Wirklichkeit hinaus intendiert sie die Erkenntnis der Wahrheit.“14)

 

II. Auf dem Lande

Die Entwicklung eines Menschen hängt neben Anlage und Schicksal auch vom Milieu ab. Da das Land eine andere Umwelt darstellt als die Stadt, ist es zu verstehen, dass sich ein Landkind anders entwickelt als ein Stadtkind. Paul Bode sagt: "Was in der Umwelt an charakteristischen Sinngehalten liegt, wird die Richtung angeben, in der die charakteristischen psychologischen Eigenschaften des Landkindes liegen. 15)

Ernst Heywang, Hildegard Hetzer und Paul Bode haben sich mit dem Milieu des Landkindes beschäftigt und sind zu folgenden unterschiedlichen Ergebnissen gekommen:

Paul Bode sieht im Landleben recht viel Gutes. Er sagt, dass man schon aus. der Anlage und Bauart der Häuser den Geist der ländlichen Familie ersehen kann. Die Gebäude zeigen starke Geschlossenheit, Verbundenheit mit der Natur und starkes Erleben. Die Familie ist der ruhende Pol im Leben der Landbewohner; daneben ist die Gemeinde eine große Gemeinschaft, in der jeder seinen Platz hat und in der er sich geborgen fühlt. Die Arbeit ist der Lebensinhalt des Landbewohners, also etwas Selbstverständliches und Gutes, das auch das Kind versteht. Das Landkind muss schon früh bei der Arbeit helfen; doch hilft es gern, ja, es drängt sich sogar dazu. Für das Spiel haben die Erwachsenen kein Verständnis, doch das bedeutet den Kindern nicht viel. Sie tun dafür lieber etwas Sinnvolles.

Ganz anders sehen jedoch Ernst Heywang und Hildegard Hetzer das Milieu des Landkindes.

Sie stellen fest, dass die meisten Wohnungen auf dem Lande sehr unzulänglich sind, da die Tiere eine größere Wichtigkeit besitzen und daher am besten untergebracht sein müssen. Die Wohnräume der Menschen sind ungepflegt und düster.

Die Kleidung der Kinder ist meistens verlottert, und eine "dauernd nachlässige und schmutzige Kleidung bedingt eine Seelenverfassung, die Nachlässigkeit, Oberflächlichkeit und Widerstandslosigkeit gegenüber schlechten und herabziehenden Einflüssen nur allzu leicht Aufnahme finden lässt" 16)

Der Gesundheitszustand der Landkinder ist sehr schlecht, wie durch Untersuchungen festgestellt wurde. Und von Enthaltsamkeit vom Alkoholgenuss will der Landbewohner weder für sich, noch für seine Kinder etwas wissen. Geistige Förderung haben die Kinder von zu Hause nicht zu erwarten. Oft werden die Kinder allzu früh in die Rolle der Erwachsenen hineindrängt. Sie haben manchmal schon in vorschulpflichtigem Alter auf dem Hof und auf dem Feld zu helfen, so dass keine Zeit zum Spielen bleibt. Die Kinder können zwar noch keinen erwachsenen Arbeiter ersetzen, doch werden sie als Helfer bei den vielen kleinen Nebenarbeiten sehr geschätzt. Spielzeug ist für die Kinder kaum vorhanden, die Kinder gestalten selten aktiv ihre Spiele.

Aus diesen unterschiedlichen Auffassungen des Milieus ergibt sich ein jeweils anderes Bild des Wesens eines Landkindes. Paul Bode charakterisiert das Landkind folgendermaßen:

Das Landkind ist durch seine eigentümlichen Erbanlagen verschlossen. Sein seelisches Leben tritt nicht an die Oberfläche, ist aber trotzdem reich und vielfältig. Das Landkind ist leicht zu leiten, ist aber auch leicht zu beeinflussen. Es zeigt eine lebensbetonte und ursprüngliche Verbundenheit mit der Natur, die eine Voraussetzung für eine reiche Phantasietätigkeit ist. Leider bleibt diese Anlage oft latent, doch braucht das Kind nur angeregt zu werden, um eine Leistung auf dem Gebiet der Phantasie zu vollbringen. Seine Erlebnisfälligkeit ist unverbraucht. "Die im Landkind schlummernden ästhetischen Qualitäten sind dem Grundcharakter nach dieselben wie in jedem anderen Kind." 17)

Doch hat das Landkind ein großes Plus den Stadtkindern gegenüber, indem es aus seiner engen Verbundenheit mit der Natur schöpft. Aus dieser Naturverbundenheit erwächst auch ein reiches religiöses Erleben, doch verschließt sich dieses den Augen des oberflächlichen Beobachters. Nach außen hin sieht die Religiosität des Landkindes nüchtern, regelhaft und rational aus, doch schlummern schon im jüngsten Kind reiche Kräfte, die oft erst nach der Pubertät zum Durchbruch gelangen. Die Entwicklung des Landkindes ist dem Rhythmus des dörflichen Lebens angepasst, das bedeutet, dass sich das Landkind wesentlich langsamer entwickelt als das Stadtkind. Die oben erwähnten Phasen treten also später ein, was sich auch im Interesse an der Literatur spiegelt. Das Märchenalter dauert oft bis ins elfte oder zwölfte Lebensjahr. Das Märchen ist bei den Landkindern so beliebt, weil es der Struktur des ländlichen Lebens und Kindes entspricht. Da das Landkind eng mit seiner Umgebung verwachsen ist, hat es kein Bedürfnis, einen anderen Stoff zu lesen, Seine Sehnsucht geht noch nicht über die Grenzen der ländlichen Abgeschlossenheit hinaus. Sein Interesse an Abenteuern und Heldentaten entsteht sehr viel später als bei einem Stadtkind. Sagen liest es gar nicht, weil sein Bildungsgrad geringer ist.

In allen diesen Punkten sieht Paul Bode einen Vorzug gegenüber den Stadtkindern. Die Landkinder können sich ruhig und stetig entwickeln, sie sind nicht so leicht abgelenkt, und da ihr Wissen nur gering ist, ist es umso tiefer.

Ernst Heywang und Hildegard Hetzer sehen jedoch nicht nur Positives. Hildegard Hetzer setzt entgegen, dass "in den Dimensionen der engeren Intelligenz zwischen Stadt- und Landkind ein Unterschied nicht festzustellen ist. Erhebliche Unterschiede finden sich aber im Bereich des Intelligenztemperamentes." 18)

Das Denktempo der Landkinder ist langsamer, sie sind schwer von einem eingeschlagenen Weg abzubringen. Doch bemühen sie sich in allen Dingen weit intensiver als die Stadtkinder, wobei jedoch leicht eine Erstarrung eintritt. Das praktische Denken der Kinder ist stärker entwickelt als das theoretische, bei den Stadtkindern verhält es sich umgekehrt. Der Vorstellungskreis der Kinder auf dem Lande ist sehr eng. Er beschränkt sich eigentlich auf das dörfliche Leben, Werden und Vergehen in Feld und Flur, Pflanzen und Vögel, Haustiere und wildes Getier aller Art. Der Gesichtskreis des Stadtkindes ist dagegen erheblich weiter. Zur Kunst haben die Dorfkinder kein Verhältnis, da niemand sich die Mühe macht, ihnen zu diesem Gebiet einen Zugang zu verschaffen. Auffallend ist auch die religiöse Interesselosigkeit der Kinder. Die Eltern selber haben eine denkbar unklare Vorstellung von religiösen Inhalten und können den Kindern nicht helfen. Der Geistliche versteht nur selten, das Interesse der Kinder zu wecken. Daher lassen die Landkinder dieses Gebiet einfach unbeachtet liegen oder finden es sogar lächerlich. Vor den Erwachsenen haben die Kinder wenig Respekt. Das Spielen ist bei

den Landkindern sehr beliebt. Auch die Dreizehn- und Vierzehnjährigen beteiligen sich noch gern an Kreis- oder Singspielen, im Gegensatz zu gleichaltrigen Stadtkindern, die sich oft zu erwachsen dünken.

Genau wie auf allen Gebieten eine Verspätung gegenüber den Stadtkindern festzustellen ist, trifft der gleiche Tatbestand für die altersspezifischen Leseinteressen zu. Bilderbücher und Struwwelpeter werden noch von den Sieben- bis Zehnjährigen begehrt. Das Märchenbuch ist von den Acht- bis Zwölfjährigen gefragt. Dann wenden sich beide Geschlechter dem. Jungenbuch zu, da die Mädchen die Backfischliteratur ablehnen. Bei den älteren Schulkindern macht sich ein Absinken des Lesebedürfnisses bemerkbar. Die Schulentlassenen haben zum Buch keinerlei Beziehung mehr.

In allen diesen Wesenszügen des Landkindes sehen Hildegard Hetzer und Ernst Heywang Vorteile und Nachteile. Da die Kinder nur wenigen Reizen ausgesetzt sind, können sie sich ruhiger und sicherer entwickeln als die Stadtkinder. Ihr Vorstellungskreis ist sehr eng, doch ist ihr Wissen von den wenigen Dingen, die sie kennen, tiefer. Unter dem engen Vorstellungskreis leidet jedoch die Phantasie der Kinder. Überhaupt entbehren sie der Beweglichkeit und Frische des Geistes, doch sind sie wiederum dadurch leichter zu leiten als die Stadtkinder. Auch sind sie in ihrer Phantasielosigkeit viel nüchterner in der Wahl ihrer Lebenspläne, sie verlieren sich nicht so leicht in Unmöglichkeiten wie die Kinder der Stadt. Durch ihr praktisches Denken stehen sie mit beiden Füßen auf dem Boden, doch sind sie leicht plump und schwerfällig.

Ernst Heywang fasst seine Ergebnisse folgendermaßen zusammen: "Es geht daraus hervor, dass in manchen Beziehungen das Landkind den Altersgenossen der Stadt gegenüber im Nachteil ist. In vielen anderen Punkten ist es wieder überlegen." 19) "Die Stadt- und Landkinder sind wohl gleichwertig, aber durchaus nicht gleichartig.“ 20)


B. Untersuchungen über das literarische Interesse bei den Kindern des Dorfes Eilum

I. Das Dorf Eilum und seine Einwohner

Die Ergebnisse über das Leseinteresse bei Kindern auf dem Lande beruhen auf einer Untersuchung in dem Dorf Eilum. Der Ort liegt fünf Kilometer von Schöppenstedt entfernt in einer Senkung zwischen Elm und Asse und hatte zur Zeit der Untersuchung etwa 300 Einwohner. Zwar besteht eine Busverbindung nach Schöppenstedt und Braunschweig, doch fahren die Busse nur dreimal am Tag, so dass man sagen kann, dass Eilum weder ein abgeschiedenes Dorf, noch eine Kleinstadt ist. Es nahm eine Zwischenstellung ein, die sich in allen Lebensbereichen zeigt. Im Ort leben sieben Landwirte. Etwa 3/4 der arbeitenden Erwachsenen sind als Melker und Landarbeiter bei diesen Bauern tätig. Der Rest arbeitet bis auf den Lehrer,  den Kaufmann, den Geistlichen und den Schmied in der Stadt in Fabriken. Die Jugendlichen des Dorfes sind alle Pendler, keiner erlernte einen landwirtschaftlichen Beruf.

Der Ort besaß zwar kein Kino, doch nahezu alle Familien waren Eigentümer eines Autos, so dass die Eilumer Einwohner ständig die Möglichkeit hatten, in Schöppenstedt ein Lichtspieltheater zu besuchen. Bei einer Umfrage ergab sich, dass 90 % der Familien einen Fernsehapparat besaßen, dass jedoch nur 40 % eine Tageszeitung lasen.

Die Bevölkerung war größtenteils evangelisch, doch bestand wenig Interesse am kirchlichen Leben. Der Geistliche des Dorfes wurde nur bei Taufen, Vermählungen und Todesfällen bemüht. Die sonntäglichen Gottesdienste wurden ausschließlich von den ältesten Einwohnern, meistens Frauen, besucht.

Die Schule in Eilum war zwar einklassig, jedoch verließen jedes Jahr einige Kinder die Schule, um in der Stadt Mittel- und Oberschulen zu besuchen. Zur Zeit dieser Untersuchung waren sechs Kinder (drei Jungen und drei Mädchen) auf weiterführenden Schulen.

Die Stellung des Lehrers war ebenfalls nicht eindeutig: die älteren Menschen und die geistig aufgeschlossenen erkannten den Lehrer und seine Tätigkeit durchaus an, die jüngeren Einwohner des Dorfes und die einfachen Arbeiter Standern dem Lehrer jedoch sehr kritisch gegenüber und hielten ihn zum Teil für lästig und überflüssig, da die Schule ihnen die Kinder als Arbeitskräfte entzog.

 

 

II. Die Schulkinder in Eilum

Während der Zeit der Untersuchungen für die vorliegende Arbeit befanden sich 27 Kinder in der Schule, von denen 11 Jungen und 16 Mädchen waren. Sie verteilten sich folgendermaßen auf die acht Schuljahre

1. Schuljahr:

4 Kinder

2. Schuljahr:

5 Kinder

3. Schuljahr:

2 Kinder

4. Schuljahr:

5 Kinder

5. Schuljahr:

5 Kinder

6. Schuljahr:

3 Kinder

7. Schuljahr:

1 Kind

8. Schuljahr.

2 Kinder

 

Nach dem Lebensalter aufgegliedert ergibt sich folgendes Bild:

6 Jahre

3 Kinder

(3 Mädchen)

7 Jahre

4 Kinder

(2 Mädchen, 2 Jungen)

8 Jahre

3 Kinder

(1 Mädchen, 2 Jungen)

9 Jahre

1 Kind

(1 Mädchen)

10 Jahre

5 Kinder

(2 Mädchen, 3 Jungen)

11 Jahre

7 Kinder

(4 Mädchen, 3 Jungen)

12 Jahre

1 Kind

(1 Mädchen)

13 Jahre

2 Kinder

(2 Mädchen)

14 Jahre

1 Kinder

(1 Junge)

 

Bei den Eltern der Kinder waren nur sieben Berufe vertreten, und zwar: Melker, Landwirt, Landwirtschaftlicher Beamter, Landarbeiter, Arbeiter, Dach­decker, Maurer, Gastwirt.


Tabellarisch gesehen:

Landwirt :  3

Landwirtschaftlicher Beamter:  1
Landarbeiter:  3
Melker:  11 Arbeiter:  4
Dachdecker:  3
Maurer:  1
Gastwirt:  1

18 Väter arbeiteten also in einem landwirtschaftlichen Beruf, acht waren in der Stadt tätig, ein Vater war gelernter Müller, betrieb aber jetzt eine Gastwirtschaft.

Die häuslichen Verhältnisse waren nur bei den wenigsten Kindern in Ordnung. Vier Kinder waren vorehelich geboten und stellten in der Familie einen unerwünschten Außenseiter dar. Sechs Schüler wurden häufig zu Arbeiten im Stall und auf den Feldern herangezogen, zum Teil schon vor Beginn des Unterrichts, so dass man von ausgesprochener Kinderarbeit sprechen kann. Die Mehrzahl der Eltern kümmerte sich kaum oder gar nicht um ihre Kinder und deren Verhalten. Nur bei den drei Bauernkindern und drei Kindern im 1. und 2. Schuljahr konnte man deutlich einen positiven Einfluss des Elternhauses wahrnehmen. Sie waren die einzigen, deren Hausaufgaben und Freizeitbeschäftigung kontrolliert und die zu geistiger Tätigkeit angeregt wurden. Ein großer Teil der Eltern verhielt sich genau umgekehrt und versuchte, die Arbeit des Lehrers auf jede Art zu erschweren. Die Kinder hatten jedoch alle großen Respekt vor ihrem Lehrer, allerdings nur, weil er sehr streng war.

Da ich im vorigen Jahr in Eilum mein Landschulpraktikum absolviert hatte und darüber hinaus noch acht Tage mit den Kindern in der Heide war, kannte ich die Schüler recht gut. Dieser umstand wirkte sich bei meinen Befragungen positiv aus, da die Kinder keine Hemmungen vor mir hatten und ich die Eigenarten der Schüler kannte und meine Fragen auf jedes Kind individuell abstellen konnte.

Der geistige Stand der Kinder war meiner Meinung nach normal. Es waren einige sehr intelligente Schüler dabei, einige waren ausgesprochen minderbegabt, der größte Teil zeigte durchschnittliche Leistungen, so dass die Ergebnisse meiner Untersuchungen nicht die einer bestimmten Intelligenzschicht sind, sondern das Resultat einer nicht ungewöhnlich zusammengesetzten Gruppe darstellen.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass von mir nur 27 Kinder befragt wurden. Diese Zahl ist sehr klein, so dass die Ergebnisse keine Allgemeingültigkeit besitzen. Sie gelten nur für das Dorf Eilum. In anderen Dörfern mag es vielleicht genauso aussehen, in manchen ganz anders.

 

 

III. Die Untersuchungen

Die Untersuchung in Eilum bestand, aus zwei Teilen:

1. aus einer freien Unterhaltung über Buchbesitz, tägliche Lesezeit, Interesse an einzelnen Buchtypen, Interesse an Zeitungen und. gelesenen Stoff in den letzten vier Wochen.

2. aus einem Bücherkatalog-Test.

Die Kinder wurden einzeln befragt, um einmal ein Nachreden und eine Kollektivmeinung zu verhindern, zum anderen, um ein besseres Einstellen auf den einzelnen Prüfling zu ermöglichen. Während der Unterhaltung wurden einige Notizen über die Aussagen der Kinder gemacht, die dann in den Pausen zwischen zwei Schülern ergänzt wurden. Die Unterhaltungen verliefen größtenteils recht zwanglos, da die Kinder mit Begeisterung bei der Sache waren. Sie hatten noch nie an solcher Befragung teilgenommen, und so war die ganze Angelegenheit eine Attraktion für sie.

Die Fragen wurden nicht bei jedem Kind in der gleichen Reihenfolge gewählt, sondern ergaben sich jeweils aus der Richtung des Gesprächs. Viele Kinder berichteten Einzelheiten sogar von selber, wenn sie nur einen kleinen Anstoß erhielten. Nur bei zwei Kindern gestaltete sich die Unterhaltung sehr schwierig, da sie offensichtlich misstrauisch waren. Doch durch direkte Prägen konnten auch hier die notwen­digen Tatbestände erfahren werden.

Man darf unterstellen, dass die Aussagen der Kinder der Wahrheit entsprachen, so dass die Ergebnisse das wirkliche Bild der Interessen der Eilumer Kinder darstellen.

In der Literatur finden wir einige Berichte von ähnlichen Untersuchungen, so zum Beispiel bei Paul Bode und Hans Fuchs, Charlotte Bühler und Hildegard Hetzer und Georg Morgenstern. In dieser Arbeit sollen die Ergebnisse von Hildegard Hetzer und Georg Morgenstern mit denen aus Eilum verglichen werden. Es wurden die Resultate von Hildegard Hetzer gewählt, weil sie einmal zeitlich am nächsten liegen (etwa 1o Jahre zurück), zum anderen, weil sie ebenfalls durch eine mündliche Befragung gewonnen wurden. Außerdem war die Anzahl der befragten Kinder nicht sehr viel größer als die Anzahl in Eilum, so dass die Ergebnisse von Hildegard Hetzer für einen Vergleich am geeignetsten schienen.

Von ihr wurden befragt:

1.          42 Kinder einer einklassigen Schule

2.          4o Kinder der Grundschule einer mehrklassigen Landschule.

3.       Zehnjährige Jungen aus dem dritten und vier-
Schuljahr.

Hildegard Hetzer hat ihre Ergebnisse in acht Punkten zusammengefasst, die in dieser Arbeit jeweils vor den betreffenden Abschnitten aufgeführt sind. Werden bei einigen Abschnitten keine Ergebnisse von Hildegard Hetzer erwähnt, hat sie zu diesen Gebieten keine Stellung genommen.

a) Interesse am Buch überhaupt und. tägliche Lesezeit der Kinder.

Hildegard Hetzer schreibt, dass bei ihren Untersuchungen nur wenige Kinder das Lesen als Lieblingsbeschäftigung bezeichneten und dass die meisten Kinder kein echtes Verhältnis zum Buch hatten. Auch stellte sie fest, dass "die späte Kindheit als die Zeit erscheint, in der die größte Aufgeschlossenheit für das Buch besteht und in der der Versuch, eine dauerhafte Beziehung zum Buch zu stiften, am meisten Aussicht auf Erfolg hat." 21)

In Eilum wurden nur zum Teil die gleichen Ergebnisse festgestellt.

50 % der Eilumer Kinder gaben Lesen als ihre Lieblingsbeschäftigung an. Immer wieder sagten die Kinder, dass im Dorf ja doch nur selten etwas "los" sei und dass sie kein Geld hätten, dauernd in die Stadt zu fahren. Das Fernsehen sei auch nicht immer interessant, und irgendetwas müssten sie ja tun. Dabei sei das Lesen immer noch am besten. Nur zwei Kinder im dritten und vierten Schuljahr gaben an, gar nicht gern zu lesen. Sie sagten, Spielen und Fernsehen sei viel besser, man brauche sich dabei nicht so anzustrengen. Auch sei das Fernsehen abwechslungsreicher als das Lesen.

Der größte Teil der Kinder in Eilum las jedoch gern. Nur war die Begeisterung für das Lesen auf den einzelnen Altersstufen recht verschieden.

Betrachtet man die Menge des gelesenen Stoffes in einer bestimmten Zeit, so war diese bei den älteren Schülern natürlich am größten, da sie am schnellsten lesen konnten. Vergleicht man jedoch die Zeit, die jedes Kind täglich mit Lesen ausfüllte, ergibt sich folgendes Bild im Durchschnitt:

Tägliche Lesezeit der Kinder in Eilum:

6 Jahre:

Täglich ¼ Stunde

7 Jahre:

Täglich ½ Stunde

8 Jahre:

Täglich ¾ Stunde

9 Jahre

Täglich 1 ½ Stunden

10 Jahre:

Täglich 1 Stunde

11 Jahre:

Täglich ¾ Stunde

12 Jahre:

Täglich 1 Stunde

13 Jahre

Täglich 2 Stunden

14 Jahre:

Täglich 2 Stunden

 

Wir sehen, dass die tägliche Lesezeit bei den sechsjährigen Kindern am kürzesten war, dann aber bis zu den neunjährigen ständig größer wurde. Bei den zehn Jahre alten Kindern war sie jedoch plötzlich kleiner und sank auch bei den elfjährigen noch weiter ab. Die Kinder dieser beiden Altersgruppen sagten, dass sie lieber draußen wären, um zu spielen oder auf den Feldern freiwillig zu helfen. Auch sei ihnen jetzt von den Eltern erlaubt worden, allein nach Schöppenstedt zu fahren, und dort sei es ja viel interessanter als zu Hause. Alle Kinder dieses Alters sagten: "Bei Regenwetter läuft bei uns den ganzen Tag der Fernsehapparat, da kann ich doch nicht lesen. Und oft will ich auch gar nicht, weil das Fernsehprogramm viel schöner ist.“ Die Illustrierten wurden jedoch gründlich gelesen, vor allem der Fernsehteil. Viele Kinder wussten schon für eine ganze Woche im voraus das Programm auswendig. Bücher wurden von den Zehn- und Elfjährigen auch gelesen, aber "nur ab und zu" oder abends vor dem Schlafengehen. Am Tage hatten sie keine Zeit dafür, da gab es zu viel anderes zu tun und zu sehen. Ganz anders sah es jedoch bei den älteren Kindern aus, Sie sagten alle, dass sie viel lieber noch mehr lesen würden, doch müssten sie oft ihren Eltern helfen und auch die Schularbeiten nähmen viel Zeit in Anspruch, so dass sie jeden freien Augenblick zum Lesen ausnützen müssten, um ihren Lesehunger zu stillen.

Es bestand jedoch ein Unterschied zwischen der täglichen Lesezeit der Jungen und der der Mädchen. Mit sechs Jahren lasen Jungen und Mädchen etwa gleichviel. Mit sieben Jahren lasen jedoch die Jungen sehr viel mehr als die Mädchen. Die Jungen waren in diesem Alter schon recht ehrgeizig im Hinblick auf ihre Lesefertigkeit. Sie sagten: "Ich will bald gut lesen können, darum übe ich schon jeden Tag." "Ich will die Zeitung lesen, damit ich weiß, was es im Fernsehen gibt." "Mein Bruder hat viele Bücher, die ich so bald wie möglich lesen möchte, und da muss ich eben viel üben."

Die Mädchen zeigten dagegen in diesem Alter noch nicht diesen Ehrgeiz. Sie spielten lieber. Sie lasen hauptsächlich die Übungsstücke im Lesebuch, die vom Lehrer aufgegeben wurden.

Bei den achtjährigen Kindern glich sich diese Differenz aus, und mit neun Jahren lasen die Mädchen mehr als die Jungen.

Dann sank die tägliche Lesezeit bei beiden Gruppen stark ab, um dann bis zum 14. Lebensjahr gleichmäßig anzusteigen.


b) Die Einstellung der Eltern zur Lektüre der Kinder

Hildegard Hetzer sagt: "Die Erwachsenen haben wenig Verständnis für das Lesebedürfnis der Kinder, doch ist dieses Verständnis zu wecken." 22)

Auch diese Feststellung traf für die Eilumer Bevölkerung nur teilweise zu.

Kein Kind sagte, dass die Eltern etwas gegen das Lesen hätten, oder dass das Lesen sogar verboten würde. Ganz im Gegenteil: die meisten Eltern spornten ihre Kinder an, zum Buch zu greifen, jedoch größtenteils nicht des Lesens wegen, sondern oft aus eigennützigen Motiven, zum Beispiel, um Ruhe zu haben oder um die  Kinder von einem anderen, unbequemen Plan abzulenken. Einige Eltern hatten jedoch großes Interesse an der Lektüre ihrer Kinder. Sie suchten die Bücher aus, lasen sie vorher und gaben sie den Kindern nur in die Hand, wenn sie sie geeignet fanden. Nur wenige Eltern kümmerten sich gar nicht um die Lektüre ihrer Kinder.

Nach dem Gesichtspunkt des Interesses für den Lesestoff der Kinder kann man die Eltern in vier Gruppen einteilen:

1)    Fünf Eltern der Eilumer Schulkinder suchten den Lesestoff für ihre Kinder aus.

2)    Neun Eltern ließen sich die Bücher zeigen, die die Kinder lasen und nahmen die ungeeignete Lektüre fort.

3)    Acht Eltern hatten ihren Kindern bestimmte Bücher verboten (Liebesromane, Landserhefte, Comics, Kriminalromane), achteten aber nicht darauf, ob ihr Verbot eingehalten wurde.

4)    Fünf Eltern interessierten sich überhaupt nicht für die Lektüre ihrer Kinder.

Dem Interesse der Erwachsenen an der Lektüre ihrer Kinder entsprach genau die Einstellung zu ihrem eigenen Lesestoff:

Die erste Gruppe war sehr anspruchsvoll in der Auswahl ihrer Lektüre. Die Kinder nannten nur gute Schriftsteller, deren Bücher von den Eltern gelesen wurde. In der zweiten Gruppe fand man dagegen außer wertvoller Literatur auch Bücher zweiten Ranges. Die dritte Gruppe las überwiegend minderwertige Erzeugnisse, während die vierte Gruppe nur Comics und Märchen oder gar nichts las.

c) Der Bücherbesitz der Eilumer Schulkinder

Hildegard Hetzer stellte bei ihren Untersuchungen fest, dass "der Buchbestand bei den Landkindern gering ist, die Bücher zum Teil in schlechtem äußerem Zustand sind und kein Niveau haben.“. 23)

Auch diese Tatbestände trafen in Eilum nicht ausnahmslos zu. Der Bücherbesitz der befragten Kinder war weit größer als der Buchbestand der von H. Hetzer untersuchten Schüler. Nur drei Kinder gaben in Eilum an, überhaupt kein Buch zu besitzen. Diese Kinder besuchten jedoch alle das erste Schuljahr, so dass sie noch nicht lesen konnten, aber schon sämtlich Bilderbücher verschenkt hatten, weil "Bilderbücher ja doch nur für ganz Kleine sind."

Je älter die Kinder wurden, desto größer war auch ihr Buchbesitz.

Alle Sechsjährigen besaßen zusammen                6 Bücher,
alle Siebenjährigen besaßen zusammen          11 Bücher,
alle Achtjährige besaßen zusammen                      4 Bücher,
alle Neunjährigen besaßen zusammen                  20 Bücher,
alle Zehnjährigen besaßen zusammen                   58 Bücher,
alle Elfjähriger besaßen zusammen                        88 Bücher,
alle Zwölfjährigen besaßen zusammen                  15 Bücher,
alle Dreizehnjährigen besaßen zusammen            25 Bücher,
alle Vierzehnjährigen besaßen zusammen            25 Bücher.
Die Summe war 252 Bücher.

Bei dieser Aufstellung ist jedoch zu bedenken, dass sich in der Gruppe der  zehn- und elfjährigen Kinder fast die Hälfte  aller Kinder befand, so dass die Anzahl der Bücher in dieser Gruppe natürlich am größten war. Darum ist  es aufschlussreicher, den durchschnittlichen Bücherbesitz jeder Gruppe zu sehen.

Die Sechsjährigen besaßen im Durchschnitt  2 Bücher,
die Siebenjährigen besaßen im Durchschnitt  3 Bücher,
die Achtjährigen besaßen im Durchschnitt  1 Buch,
die Neunjährigen besaßen im Durchschnitt 20 Bücher,
die Zehnjährigen besaßen im Durchschnitt 12 Bücher,
die Elfjährigen besaßen im Durchschnitt      11 Bücher,
die Zwölfjährigen besaßen im Durchschnitt  15 Bücher,
die Dreizehnjährigen besaßen im Durchschnitt 13 Bücher,
die Vierzehnjährigen besaßen im Durchschnitt  25 Bücher.

Genau wie in der absinkenden täglichen Lesezeit der Zehn- und Elfjährigen begegnen wir hier dem gleichen Phänomen, daß die zehn und elf Jahre alten Kinder weniger Bücher besaßen als die neunjährige Schülerin. Nach dem elften Lebensjahr besaßen die Kinder jedoch wieder eine größere Anzahl von Büchern, wobei der Bücherbestand bei Mädchen und Jungen gleich groß war.

Von den 252 genannten Büchern entfielen 3o % auf die Märchenliteratur, und zwar zu gleichen Teilen auf die alten Märchen, z.B. auf die der Brüder Grimm, und auf neue. 20 % der Bücher hatten Handlungen mit Tieren zum Inhalt, "Heiner und sein Wildpferd", "Petzi", "Fury", "Lassie", "Der Löwentöter", "Der Tiger Kali". 20 % gehörten in das Gebiet der Abenteuer und Entdeckungen. Genannt wurden Bücher von Karl May, "Mit dem Hubschrauber über Afrika", "Unter den Indianern", "Der alte Mann vom Berge", "Kalle Blomquist", "Stips spioniert", "Leder s trumpf " 10 % waren Mädchenbücher wie "Manuela", "Gisel und Ursel , die beiden Sportsmädel", "Elke, der Schlingel", "Pucki". Der Rest entfiel auf Kriegsgeschichten, historische Darstellungen, Reiseberichte und technische Ausführungen. An erstklassiger Literatur wurde genannt: "Tom Sawyer" von Mark Twain, "Jerry, der Insulaner" von Jack London, "Das Totenschiff" von B. Traven, "Der Kampf der Tertia" von Wilhelm Speyer, "Gullivers Reisen" von Jonathan Swift, "Die Dschungelbücher" von Rudyard Kipling; an Erwachsenenliteratur: „Der Glöckner von Notre Dame" von Victor Hugo, "Die drei gerechten Kammacher" von Gottfried Keller, "Ostwind - Westwind" von Pearl S. Buck, "Brigitta" von Adalbert Stifter, "Belagerung von Mainz" von J.W. Goethe.

Die Werke aus der Erwachsenenliteratur wurden jedoch bis auf den "Glöckner von Notre Dame" von den Kindern als "langweilig" abgelehnt. Sie konnten noch nichts damit anfangen. Es stellte sich heraus, dass alle diese Werke von Verwandten geschenkt waren, die den Kindern eine Freude machen wollten, aber in der Literatur nicht bewandert waren. Sie ließen sich daher wahrscheinlich nur vom Titel leiten und griffen so zu unkindlicher Literatur.

Hildegard Hetzers Erfahrungen bestätigen sich also nicht ganz. Zwar wurden auch eine Reihe pädagogisch wertloser Bücher genannt, doch ein großer Teil der Literatur war durchaus anzuerkennen. Auch besaßen die Eilumer Kinder unerwartet viele Bücher, die zum Teil noch ganz neu waren.

Nur mit ihren eigenen Büchern konnten die Kinder ihren Lesehunger natürlich nicht stillen. Daher wurden die vorhandenen Bücher untereinander ausgeliehen, getauscht oder verschenkt, so dass alle von sämtlichen Kindern gelesen waren. Der Lehrer hatte außerdem noch eine Schülerbücherei eingerichtet, die von Kindern gern und häufig in Anspruch genommen wurde. Ein Mädchen aus dem achten Schuljahr hielt die Bücherei freiwillig und ohne Hilfe des Lehrers in Ordnung und lieh die Bücher aus.

in dieser Stelle soll betont werden, dass das verhältnismäßig große Interesse der Eilumer. Kinder an der Literatur auf den Einfluss des Lehrers zurückzuführen ist. Er forderte das Lesen, wo er nur konnte. Die Kinder erhielten zur Belohnung für saubere Hausarbeiten Bücher. Er schenkte zu Festtagen Lesestoff und er las vor allen Dingen viel mit den Kindern in der Klasse, so dass die Binder durch ihn überhaupt erst ein gutes Verhältnis zur Literatur gewannen.

So ist es zu verstehen, dass das literarische Interesse der Eilumer Kinder unerwartet groß war, und dass einige der älteren Schüler schon ein gewisses literarisches Urteilsvermögen zeigten.

 

d) Das Interesse an den einzelnen Buchtypen

1. Interesse am Märchen

Hildegard Hetzer sagt: "Die Beschäftigung mit dem Märchen dauert im Vergleich zu den Stadtkindern länger. Noch 12jährige Dorfkinder sind an Märchen sehr interessiert. Das hängt zum Teil damit zusammen, dass das Kind vielfach überhaupt erst in der Schule mit dem Märchen in Berührung kommt Märchenerzähler aussterben.“ 24)

Dem ersten Teil dieser Beobachtung kann man nach den Untersuchungen voll und ganz zustimmen. Sogar die dreizehnjährigen Kinder erklärten, noch gern Märchen zu lesen. Dieses lang andauernde Interesse konnte aber nicht damit zusammenhängen, dass, wie H. Hetzer sagt, die Kinder zum Teil erst in der Schule mit dem Märchen in Berührung kamen, denn alle Kinder sagten, dass ihnen früher, als sie noch nicht zur Schule gingen, Märchen erzählt worden seien. Zwar waren es nur in den wenigsten Fällen die Eltern, aber irgend ein Familienmitglied fand sich doch immer dazu bereit, sei es die Großmutter, eine Tante oder die älteren Geschwister. Das lang andauernde Interesse am Märchen war daraus zu erklären, dass die Kinder größtenteils sehr träge waren. Sie waren zwar nicht dumm, aber es dauerte unendlich lange, ehe sie sich zu einer geistigen Leistung aufrafften. Und so hingen sie am Märchen und konnten sie schwer davon trennen. Sie nahmen zwar nebenbei die andere Literatur auf, ließen aber das Märchen noch lange Zeit fortbestehen.

Nun wurden aber auf den verschiedenen Altersstufen jeweils andere Märchen gelesen. Die sechsjährigen Kinder gaben nur die Märchen der Brüder Grimm an. Als Lieblingsmärchen wurden genannt: "Der Froschkönig", "Schneewittchen", "Hänsel und Gretel", “Schneeweißchen und Rosenrot", "Dornröschen", "Der Hase und der Igel".

Die siebenjährigen Kinder dagegen nannten neben den Grimmschen Märchen auch solche von Hans Christian Andersen, zum Beispiel: "Der Schweinehirt". Zu den Märchen der Brüder Grimm sagten die siebenjährigen Kinder: "Die kenne ich schon fast alle, aber ich lese sie doch, weil es leichter zu lesen geht, wenn man weiß was kommt."

Die acht-, neun- und zehnjährigen Kinder lasen ebenfalls noch die Märchen von Andersen, doch hinzu kamen einige Märchen von Hauff, zum Beispiel: "Zwerg Hase", "Die Geschichte vom Kalif Storch" und mehrere Märchen von unbekannten Schriftstellern.

Bei den elfjährigen fielen diese Märchen fort, wurden jedoch durch solche ersetzt, die weniger bekannt, dafür aber recht abenteuerlich sind. Zum Beispiel: "Rattenkönig Birlibi" und "Der gläserne Schuh".

Die zwölf- und dreizehnjährigen Kinder bevorzugten hauptsächlich Märchen, die in ihnen unbekannten und daher fesselnden Gegenden spielen. So zum Beispiel Südseemärchen, Malaiische Märchen, Märchen aus 1001 Nacht, Japanische und Chinesische Märchen, es war deutlich ein Zug zum Abenteuerlichen und Exotischen zu erkennen.

Alle sechsjährigen Kinder ließen sich gern Märchen erzählen. Kein Kind sagte, dass es etwas anderes lieber höre.

Bei den siebenjährigen Kindern war das Interesse am Märchen genau so groß, doch lasen diese Kinder schon selber, sie waren also nicht mehr auf das erzählen angewiesen und kannten demzufolge eine größere Anzahl Märchen als die Sechsjährigen. Alle siebenjährigen Kinder erklärten die Märchen zu ihrer Lieblingslektüre, doch fanden sie auch schon andere Geschichten, zum Beispiel Tiergeschichten, schön.

Die meisten Märchen wurden von den acht- und neunjährigen Kindern gelesen. Da sie in diesem Alter nahezu fließend lesen konnten, wurden die Märchen begierig aufgenommen und miterlebt, zum Teil sogar noch für wahr gehalten.

Die Zehnjährigen sagten bis auf einen Jungen, dass sie Märchen gern läsen. Sei der Aussage dieses Jungen muss man jedoch vorsichtig sein, denn er wurde im Elternhaut schon sehr zum Erwachsen-Sein angehalten und war daher recht altklug. Wahrscheinlich hatten die Eltern ihm gesagt, Märchen seien nur etwas für Kleine, denn während des Unterrichts konnte man beobachten, dass er alles um sich her vergaß, wenn dem ersten und zweiten Schuljahr Märchen erzählt wurden. Seine Aussage war also wahrscheinlich nicht ganz echt.

Mit zunehmendem Alter nahm das Interesse am Märchen ab, verschwand jedoch nicht ganz. Denn noch 50 % der zwölf-, dreizehn- und vierzehnjährigen Kinder gaben an, gern Märchen zu lesen. (Diese drei Altersstufen wurden zusammengefasst, da sie nur wenige Kinder umfassten und so eine Prozentzahl für jede Gruppe für sich nicht zu errechnen war).

Das Interesse am Märchen war aber auf allen Altersstufen zwischen Jungen und Mädchen verschieden.

Schon bei den Sechsjährigen war insofern ein Unterschied zu verzeichnen, als die Mädchen die Märchen schöner fanden, die etwas von schönen Königstöchtern oder lieben und netten Kindern erzählten, zum Beispiel: "Rotkäppchen", "Dornröschen", "Schneewittchen" und "Aschenputtel", während die Jungen herzhaftere Märchen liebten, in denen etwas von Wettkämpfen oder großen Taten vorkam, zum Beispiel: "Das tapfere Schneiderlein" "Der Hase und der Igel" und "Hans im Glück".

Bei den Siebenjährigen war der Unterschied nicht mehr ganz so deutlich, jedoch immer noch bemerkbar. Das Interesse aber an Märchen überhaupt war, genau wie bei der Neunjährigen, bei Jungen und Mädchen gleich groß.

Nach dem neunten Lebensjahr jedoch unterschieden sich die Interessen von Jungen und Mädchen. Bei den Jungen nahm das Interesse sehr viel schneller ab als bei den Mädchen. Von den zehnjährigen Jungen lasen noch 80 % Märchen, von den elfjährigen noch 60 %. Leider ließ sich die Entwicklung nicht weiter verfolgen, da keine zwölf- und dreizehnjährigen Jungen die Schule besuchten. Der einzige Vierzehnjährige fand die Märchen albern und las daher auch keine. Bei den Mädchen lasen von den Zehnjährigen noch 90 % Märchen, von den Elfjährigen 80 %. Diese Prozentzahl blieb bis zu den Dreizehnjährigen konstant. Ein vierzehnjähriges Mädchen befand sich nicht unter den Kindern.

 

2. Interesse an Tiergeschichten

Großer Beliebtheit erfreuten sich bei nahezu allen Eilumer Kindern Tiergeschichten. Schon die Sechsjährigen sahen im Fernsehen neben den Märchenfilmen die Tiersendungen "Fury, das Wildpferd" und "Lassie" am liebsten. Diese beiden Geschichten sind im Buchhandel für alle Altersstufen in verschiedenen Ausführungen erhältlich. Die sieben- und achtjährigen Kinder lasen sie in Form von Comics. Daneben wurden in diesem Alter verschiedene kurze Tiergeschichten genannt, die meistens das Dorf als Handlungsort haben.

Die neun- und zehnjährigen Kinder lasen die beiden Geschichten "Fury" und "Lassie" in Form von Büchern. Kein Kind erklärte, sie nicht gelesen zu haben. Neben diesen beiden Erzählungen wurden noch folgende Lieblingsbücher genannt: "Das Tierkinderbuch", "Von Schelmen und besseren Gesellen", "Tiergeschichten" und "Unsere drolligen Freunde". Diese Bücher bestehen aus einzelnen Erzählungen, die von lustigen Taten oder Streichen von Tieren berichten. Besondere Merkmale sind, dass die Geschichten immer in der bekannten Welt des Kindes spielen und die Tiere vermenschlicht sind.

Die elf- und zwölfjährigen Kinder lasen ebenfalls noch die Bücher der jüngeren Kinder, doch waren daneben auch Geschichten mit fremden Tieren beliebt. Diese Tiere waren gefangen und zu uns gebracht, wobei sie wild und gefährlich wirkten. Diese Altersgruppe stellt einen deutlichen Übergang von den Zehn- zu den Dreizehnjährigen dar. Die Kinder hefteten einerseits noch an den etwas märchenhaften Tiergeschichten der jüngeren Gruppe, andererseits war doch schon deutlich ein Interesse am Abenteuerlichen zu erkennen.

Die dreizehn- und vierzehnjährigen Kinder lasen am liebsten Tiergeschichten aus fernen Ländern, in denen die Tiere manchmal treue Helfer sind, oft aber eine Gefahr für die Menschen darstellen und mit allen Mitteln bekämpft werden müssen. Genannt wurden: "Mombo, der treue Elefant", "Der Tiger Kali", "Die Jagd im Dschungel", "Wolfsblut". Alle diese Geschichten sind recht abenteuerlich und kamen dem Hunger der Kinder nach Aufregendem und Spannungsgeladenem entgegen.

Es war interessant, dass der Schüler, der einige Wochen vor dieser Untersuchung von Braunschweig nach Eilum gekommen war, die Tiergeschichten ablehnte, während alle anderen Kinder sie gern lasen. Er sagte, er hätte sich "Lassie" und "Fury" durchgelesen, aber das wäre nichts für ihn. Und überhaupt hätte er Angst vor Tieren, "sie sind ja doch alle so hinterhältig."

Zwischen Jungen und Mädchen war auf diesem Gebiet auf keiner Altersstufe ein unterschiedliches Interesse zu verzeichnen.

 

3. Interesse an Comic strips

Das größte Interesse der Eilumer Kinder galt neben den Märchen und Tiergeschichten den Comic strips. Diese so genannten Comics sind kleine; schmale Heftchen mit kurzen Geschichten, die in Bildern dargestellt und mit einem Minimum an Text versehen sind. Sie sind ziemlich wertlos, doch wurden sie von vielen Kindern mit wahrer Begeisterung verschlungen. Schon einige Siebenjährige lasen diese Hefte. Als Grund gaben sie an: "Da ist nur wenig Geschriebenes, man kann also auch die Bilder verstehen, wenn man noch nicht alles lesen kann." Genannt wurden jedoch nur verhältnismäßig harmlose Serien, zum Beispiel: Donald Duck und Petzi. Pelle und Pingo.

Das Interesse an den Comics wurde dann laufend größer, bis es bei den Zehn- und Elfjährigen seinen Höhepunkt erreichte. Die Hefte wurden in diesem Alter zu Dutzenden ausgetauscht. Es war jedoch interessant, dass nur sechs der Kinder selber Comics besaßen, die sie entweder von den Eltern und von Bekannten in der Stadt geschenkt bekommen oder die sie sich von ihrem Taschengeld angeschafft hatten. Der Junge aus der Stadt hatte sogar eine Dauerbestellung. Von diesen Kindern liehen sich alle anderen Kinder die Hefte aus. Am liebsten gelesen wurden die Serien von Eisenherz, Akim, Sieghurd, Tarzan und Bombo. Die Kinder, die selber keine Comics besaßen, sagten alle, dass die Eltern "solchen Schund" nicht im Hause haben wollten. Recht eigenartig war es, dass nahezu alle Kinder die Hefte lasen, dass aber viele von ihnen sagten, die Comics wären "Mist". Bei der Frage, warum sie dann trotzdem die Hefte läsen, wurden sie verlegen und sagten: "Die anderen lesen sie ja auch". "Sie sind leichter zu lesen als Bücher". "Ich weiß eigentlich auch nicht so recht, eigentlich sind sie Quatsch, aber sie sind doch ganz spannend, und darum kann ich es nicht lassen."

Viele Kinder stimmten den Comics jedoch bedenkenlos zu, "weil sie spannend sind", "weil der Akim immer so tapfer ist und gewinnt". Ein Mädchen sagte sogar, dass die Hefte "so lehrreich" wären.

Nach dem elften Lebensjahr nahm das Lesen der Comics ab. Fasst man die zwölf- bis vierzehnjährigen Kinder zu einer Gruppe zusammen, so ergab sich, dass nur noch 50 % der Kinder Comics lasen, aber "nur, wenn nichts anderes da ist, oder so im Bus, wenn man doch kein Buch lesen kann." Die Hefte wurden in diesem Alter nicht mehr ernst genommen. Die Kinder wussten, dass sie wertlos sind.

Im Hinblick auf das Interesse an den Comics bestand ein Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern. Und zwar lasen die Mädchen auf allen Altersstufen weniger in diesen Heften als die Jungen. Bei den Siebenjährigen war nur ein Mädchen, das „mal hineingeguckt“ hatte. Bei den Achtjährigen ebenfalls, während die Jungen schon gern Comics lasen, bei den Jungen steigt die Kurve dann bis zu den Zehn- und Elfjährigen steil an, von denen nur zwei sagten, dass sie die Comics nicht oft läsen. Bei den Mädchen erreichte das Interesse an den Comics bei den zehn- und elfjährigen ebenfalls den Höhepunkt, doch gaben nur 3/4 der Mädchen an, Comics zu lesen. Die anderen sagten, das wäre ja doch alles nicht wahr und überhaupt wären diese Geschichten albern. Einige Mädchen fanden die Comics jedoch "sehr interessant" und "prima". Nach dem elften Lebensjahr nahm bei beiden Geschlechtern das Lesen der Comics ab. Bei den Jungen konnte die Entwicklung bei den Zwölf- uni Dreizehnjährigen nicht verfolgt werden, da sich kein Junge in diesem Alter in der Klasse befand. Der vierzehnjährige Junge las keine Comics mehr, weil er sie "blödsinnig" fand. Bei den zwölf- und dreizehnjährigen Mädchen war nur eines, das die Comics gern las, und eines, das ab und zu einmal ein Heft zur Hand nahm.

 

4. Interesse an Sagen

Unerwartet groß war das Interesse der Eilumer Kinder an Sagen. Schon einige Sechs- und Siebenjährige fanden die Sagen "schön". Sie hatten während des Unterrichtes zugehört, als der Lehrer mit den älteren Schülern Sagen besprach und versuchten nun von sich aus, Sagen zu lesen. Allerdings wurden sie von ihnen kaum verstanden. Die Kinder fassten sie genau wie Märchen auf, hielten alles für wahr. Gelesen hatten sie „Rübezahl“ und "Sagen um Braunschweig".

Von den acht- und neunjährigen Kindern lasen etwa 30 % Sagen. Unter ihnen war ein Junge, der sagte, dass Sagen eine Mischung von Dichtung und Wahrheit sind. Doch war diese Aussage wohl nur eine Wiederholung des im Unterricht Gehörten, die nicht verstanden wurde. Die Kinder dieser Altersstufe lasen überwiegend Elm- und Harzsagen.

Von den zehnjährigen Kindern lasen 40 % Sagen, von den elfjährigen 50 %. Die zwölf- bis vierzehnjährigen Kinder zeigten alle Interesse für Sagen.

Die Sagen, die von den zehn bis zwölf Jahre alten Kindern gelesen wurden, gehörten alle zu den Sagen des Bürgertums, also zu den Volkssagen, die von merkwürdigen Begebenheiten handeln, von Männern und Frauen mit absonderlichen Schicksalen oder von der Spukwelt des Aberglaubens. Zum Beispiel: "Der Rattenfänger von Hameln", "Till Eulenspiegel", "Der arme Heinrich" und "Sagen um das alte Köln". Alle diese Sagen haben die Prosaform und eine leichte Verständlichkeit gemeinsam. Sie sind keine Sagen von wirklich großem Format.

Die dreizehn- und vierzehnjährigen Kinder lasen dagegen auch schon teilweise die großen Sagen, so wie "Das Nibelungenlied", "Die Odyssee" und "Parzival".

Zwischen Jungen und Mädchen bestand auf diesem Gebiet kein Unterschied.

Das große Interesse der Eilumer Kinder war ein Verdienst des Lehrers. Er führte seine Klassen schon früh in dieses Gebiet ein und hielt das Interesse bis zum Ende der Schulzeit wach. Hätte er das nicht getan, wäre vielleicht das Interesse nicht so groß gewesen. Im Verhältnis zu den anderen Buchtypen war die Menge der gelesenen Sagen gering, doch hatten alle Kinder vom achten Lebensjahr an, laufend einige Sagen gelesen, so dass ein Interesse eindeutig vorhanden war.

 

5. Interesse an Abenteuergeschichten

Das Interesse an Abenteuergeschichten setzte bei den Eilumer Kindern im zehnten Lebensjahr ein, in dem 60 % der Schüler diese Erzählungen lesenswert fanden. Die Beachtung der Abenteuergeschichten nahm sehr schnell zu, so dass alle elfjährigen Kinder mit Begeisterung Bücher dieser Art lasen. Das Interesse blieb dann bis zum vierzehnten Lebensjahr konstant.

In den Aussagen der Kinder kam immer wieder das Bedürfnis nach Realitäten zum Ausdruck. Die zehn- und elfjährigen Schüler nahmen sogar alle Geschichten für bare Münze. Sie sagten: "Ja, Abenteuergeschichten kann man wenigstens glauben. Die anderen Sachen sind ja doch nur gesponnen." "Abenteuer sind spannend, na, ja, andere Geschichten auch, aber Abenteuer sind doch irgendwie anders, weil sie wahr sind." Die älteren Kinder waren dagegen nicht ganz sicher. Sie waren etwas ratlos. Einerseits glaubten sie an den Inhalt der Erzählungen, andererseits hatten sie doch Zweifel. Ihre Aussagen waren: "Ach, Abenteuer sind einfach spannend. Ist ja egal, ob sie wahr sind, oder nicht." "Ich weiß nicht so recht. Es könnte ja auch sein, dass sie erfunden sind." "Sie werden wohl so einigermaßen wahr sein. Vielleicht ist auch etwas dazu erfunden. Aber das weiß ich nicht. Hauptsache sie sind spannend." "Der größte Teil ist wohl wahr, und darum lese ich sie auch so gern."

In diesem Zusammenhang mag auch erwähnt sein, dass Biographien von den älteren Schülern recht gern gelesen wurden, weil bei ihnen die geringsten Zweifel an der Echtheit bestanden.

Auch auf diesem Gebiet war ein Unterschied zwischen den zehn- und elfjährigen Kindern und den zwölf- bis vierzehnjährigen zu verzeichnen, indem die jüngeren Kinder die Abenteuergeschichten liebten, die in unseren Gegenden spielten, also Abenteuer mit dem Flugzeug, oder mit einem Boot, während die älteren Kinder lieber von Abenteuern in fremden Ländern lasen.

Jedes Kind wurde während der Untersuchung gefragt, ob es "Robinson Crusoe" gelesen hätte, nach dem ja das Abenteueralter von Charlotte Bühler genannt wurde. Jedoch war keinem Kind diese Geschichte bekannt.

Zwischen dem Interesse der Jungen und dem der Mädchen an Abenteuergeschichten bestand nur ein kleiner Unterschied. Von den zehnjährigen Mädchen lasen nur 40 % Abenteuer, während bei den gleichaltrigen Jungen 80 % daran Interesse fanden. Bei den elfjährigen

Kindern glich sich diese Differenz wieder aus, so dass bis zum vierzehnten Lebensjahr das Interesse an Abenteuergeschichten bei Jungen und Mädchen gleich stark war.

Was auf der vorigen Seite über die verschiedenen Interessen zwischen den jüngeren und älteren Kindern gesagt wurde, gilt für Jungen und Mädchen in gleicher Weise.

 

6. Interesse an Mädchenbüchern

Das Interesse an Mädchenbüchern setzte bei den Eilumer Kindern im neunten Lebensjahr ein. Und zwar nur bei den Mädchen. Während die Abenteuergeschichten von beiden Geschlechtern gelesen wurden, hatten die Jungen für die Mädchenbücher meistens nur ein mitleidiges Lächeln übrig, wenn sie danach gefragt wurden. Von den zehnjährigen Mädchen lasen 50 % Mädchenbücher, von den elfjährigen 80 %. Das zwölfjährige Mädchen zeigte das größte Interesse an diesen Erzählungen. Die dreizehnjährigen Mädchen lasen auch Mädchenbücher, doch waren sie mit vielen nicht einverstanden. Die Mädchenbücher rückten bei ihnen schon wieder in den Hintergrund.

 

7. Interesse an Groschenheften

An Groschenheften bestand erfreulicherweise wenig Interesse bei den Eilumer Kindern. Zum Teil ist dieses dem Umstand zu verdanken, dass der einzige Kaufmann im Dorf, der auch die Leihbücherei führte, keine Groschenhefte anbot. Da sich die Eltern der Kinder ihre Lektüre größtenteils von dem Kaufmann holten, waren nur einige Groschenhefte im Dorf zu finden, die von Bekannten aus der Stadt geschenkt worden waren, oder die die Jugendlichen mitgebracht hatten. Die Stadt machte sich hier bei den in den Fabriken arbeitenden Jugendlichen als schlechter Einfluss bemerkbar. Sie lasen kaum noch gute Literatur, sondern verschlangen in großen Mengen die schlechtesten Erzeugnisse. Bei den Kindern waren nur einige elfjährige, die Groschenhefte lasen, weil sie es bei den größeren Brüdern sahen. Allerdings bestand nur bei den Jungen Interesse, die Mädchen fanden die Hefte "doof". Der vierzehnjährige Junge schenkte den Heften ebenfalls keine Beachtung.

 

8. Interesse an Jugendbüchern

Bei den elfjährigen Kindern setzte das Interesse an Jugendbüchern ein. Unter Jugendbücher sollen hier die guten Erzählungen verstanden sein, die speziell für Jugendliche geschrieben sind, aber nicht zu Abenteuer- und Mädchengeschichten gehören. Abenteuer- und Mädchengeschichten gehören natürlich auch in die Gruppe der Jugendbücher, doch sind sie charakteristisch für die realistische Phase der Kindheit, so dass sie in dieser Arbeit gesondert behandelt wurden.

Von den elfjährigen Eilumer Kindern lasen 30 % Jugendbücher. Dann stieg das Interesse schnell an, so dass alle dreizehn- und vierzehnjährigen Kinder Jugendbücher lasen.

Als gern gelesene Bücher wurden genannt: "Das fliegende Klassenzimmer" und "Pünktchen und Anton" von Erich Kästner, "Klick aus dem. Spielzeugladen" von Friedrich Schnack, "Heidi" von Johanna Spyri und einige weniger bekannte Erzählungen.

Auch auf diesem Gebiet zeigte sich deutlich, dass die Mädchen die geordnete, die Jungen die abenteuerliche Welt suchten.

 

e) Interesse an Zeitungen

Hildegard Hetzer sagt: "Die Zeitung wird dort, wo sie vorhanden ist, von den jugendlichen Lesern gern ergriffen." 25)

In Eilum war das Interesse an Zeitungen unterschiedlich.

1. Interesse an Illustrierten

Die Eilumer Kinder zeigten an Illustrierten mehr Interesse als an Tageszeitungen, da in jedem Haushalt mindestens eine Illustrierte gehalten wurde, oft sogar ganze Lesemappen.

Die Illustrierten wurden schon von einem Teil der Sechs- und Siebenjährigen angesehen, doch beschränkt sich das Interesse bei den sechsjährigen Kindern auf die Abbildungen, bei den siebenjährigen auf die Abbildungen und fettgedruckten Unterschriften. Die Achtjährigen versuchten schon, die Texte zu den Bildern zu lesen. Das neunjährige Mädchen las das Fernsehprogramm, Bildtexte und Witzseiten. Von den Zehnjährigen an lasen alle Kinder regelmäßig die Illustrierte, hauptsächlich das Fernsehprogramm. Doch wurde alles andere ebenfalls angesehen. Besonders beliebt waren Film- und Sportnachrichten, Witz- und Kinderseiten und die Wettervorhersage.

Es bestand, jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Interesse der Jungen und dem der Mädchen. Zwar war das Interesse der Jungen und Mädchen an Illustrierten überhaupt gleich groß, doch bestand ein Unterschied in den verschiedenen Interessengebieten. Schon bei den Sechs- und Siebenjährigen sahen sich die Mädchen am liebsten die Bilder von Fürstenhochzeiten und Begräbnissen, oder von menschlichen Tragödien an, "weil sie da immer so weinen". Die Jungen dagegen betrachteten lieber Photographien von Fußballspielen, Auto- und Pferderennen, Boxkämpfen und Verkehrsunfällen. Und zwar sahen sich die Kinder immer nur das an, was sie am liebsten mochten, das andere wurde nicht beachtet. Bei den Achtjährigen war das Gleiche zu beobachten. Von den zehnjährigen an blieb die Grundeinstellung dieselbe, doch wurden alle Bilder angesehen, die dazugehörigen Texte aber nur genau gelesen, wenn das Bild in das eigene Interessengebiet fiel. Bei den zwölf- und dreizehnjährigen Mädchen waren die Filmberichte am beliebtesten, während der vierzehnjährige Junge an den Sportnachrichten festhielt. Die Fortsetzungsromane wurden von den elf- bis vierzehnjährigen Kindern sehr gern gelesen, weil "es so spannend ist, wenn man immer bis zur nächsten Woche warten muss, ehe es weitergeht." Die Witzseiten wurden von allen Kindern gern gelesen. Besonders beliebt waren die gezeichneten Witze, die nicht viel Text benötigen.

Man kann also sagen, dass auch auf diesem Gebiet ein typischer Unterschied zwischen Jungen und Mädchen bestand.

 

2. Interesse an Tageszeitungen

Ganz anders sieht jedoch das Interesse an Tageszeitungen aus. Da nur wenige Familien eine Tageszeitung hielten, hatten die Kinder wenig Gelegenheit, sie zu lesen. Von den sechsjährigen Kindern las keines die Tageszeitung. Bei den Siebenjährigen war ein Junge, dessen Eltern regelmäßig eine Zeitung bekamen, und der sich die Bilder ansah. Von den achtjährigen Kindern las keines die Tageszeitung. Das neunjährige Mädchen hatte ebenfalls kein Interesse, obwohl seine Eltern eine Zeitung hielten. Die zehnjährigen Kinder dagegen lasen schon öfter einmal in der Tageszeitung. Drei Kinder, deren Eltern eine Zeitung hielten, lasen sie regelmäßig. Die anderen zehnjährigen Kinder sahen sich ab und zu bei Bekannten die Zeitung an. Doch wurden auch hier die gleichen Themen gelesen wie in den Illustrierten. Bei den elfjährigen wuchs das Interesse an Tageszeitung weiter an. In dieser Altersgruppe lasen nahezu alle Kinder regelmäßig die Zeitung. Hielten die Eltern keine Zeitung, gingen die Kinder zu Bekannten, um zu lesen. Die zwölf- bis vierzehnjährigen Kinder zeigten lebhaftes Interesse an der Tageszeitung, sogar auch an den Abhandlungen über politisches Tagesgeschehen.

Auch auf diesem Gebiet bestand ein Unterschied zwischen Jungen und Mädchen. Und zwar kann man sagen, dass die Mädchen allgemein weniger Interesse an der Tageszeitung hatten als die Jungen. Bei den Mädchen setzte das Interesse praktisch erst bei den Zehnjährigen ein. Je älter die Mädchen wurden, desto größer war auch das Interesse an Zeitungen, doch wurde es nie so groß wie das der Jungen. Auch zeigte sich, dass die Mädchen mehr in der Welt der Familie lebten. Sie zeigten z.B. keinen Sinn für Bürgerkriege in Afrika. Dagegen wandten sie ihr Interesse den Heirats- und Todesanzeigen zu, wofür wiederum die Jungen keinerlei Sinn hatten. Die Themen jedoch, die im Moment dieser Untersuchung Tagesgespräch waren, wurden von den Mädchen genau so gelesen wie von den Jungen. So wussten die Kinder zum Beispiel recht gut über den Eichmannprozess Bescheid, und kannten alle Einzelheiten über den ersten Raumflug des Russen. Im Großen und Ganzen kann man jedoch sagen, dass die Mädchen weniger Interesse an der Tageszeitung als die Jungen hatten.

 

f) Die Stärke des Interesses an den verschiedenen Buchtypen, errechnet aus dem in vier Wochen gelesenen Stoff.

Um ein Bild zu erhalten, wie groß das Interesse der einzelnen Jahrgänge an den verschiedenen Buchtypen war, wurden die Kinder über ihren Lesestoff während der letzten vier Wochen befragt. Diese Befragung war nicht schwierig, da sich die ganze Untersuchung für die vorliegende Arbeit über vierzehn Tage erstreckte, so dass sich die Kinder nur an die letzten zwei Wochen zu erinnern brauchten. Die angegebenen Lesestoffe wurden bei jedem Jahrgang zusammengezählt und der Anteil an den verschiedenen Buchtypen in Prozenten errechnet. Die Ergebnisse sind natürlich nicht allgemeingültig, da es von zu vielen Faktoren abhing, was die Kinder während dieser vier Wochen lasen. Am schwierigsten war die Situation bei der Zeitungslektüre, da sich der Anteil des gelesenen Stoffes auf diesem Gebiet schwer erfassen ließ. Die angegebenen Zahlen sind daher hier am wenigsten schlüssig.

Bei den folgenden zeichnerischen Darstellungen gilt die rote Schraffierung für die Mädchen, die blaue für die Jungen. Bestand für ein Gebiet bei den Jungen oder bei den Mädchen mehr Interesse, ist der obere Teil des Feldes in der entsprechenden Farbe gekennzeichnet. Befand sich in einer Gruppe nur 1 Mädchen oder 1 Junge, sind die Felder ganz in einer Farbe schraffiert.

(Die grafischen Darstellungen werden hier nicht dargestellt!)

Bei den sechsjährigen Kindern konnte kein Lesestoff geprüft werden, da sie nicht selbst zum Lesen fähig waren. Die Zahlen bedeuten also gehörten oder gesehenen Stoff. Entweder wurde er ihnen von den Eltern oder Geschwistern erzählt, oder sie sahen ihn im Fernsehen. Dabei wurden etwa 97 % Märchen und Tiergeschichten genannt.

Bei den  Siebenjährigen handelt es sich um selbst gelesenen Stoff. Das größte Interesse bestand an Märchen, denn unter der  angegebenen Lektüre befanden sich 75 %. An Tiergeschichten wurden 10 % genannt, während auf Comics, Zeitungen und Sagen je 5 % entfielen. Der Lesestoff war bei Jungen und Mädchen etwa gleich

Bei den achtjährigen Kindern nahm der Anteil der Märchen ab, während der Anteil der Tiergeschichten größer wurde. Das Interesse an Comics war in diesem Alter stärker als an Zeitungen. Der Anteil der Sagen blieb genau so groß wie bei den siebenjährigen Bindern. Diese große Anzahl der gelesenen Sagen war unerwartet, doch hatten alle sieben- und achtjährigen Kinder Sagen von Rübezahl gelesen, da sie in der Schule etwas davon gehört hatten. Und so erklärt sich der hohe Anteil der Sagen.

Der Lesestoff war bei den Jungen und Mädchen bei den Märchen, Tiergeschichten, Sagen und Zeitungen gleich groß, die Comics wurden überwiegend von den Jungen gelesen.

Das neunjährige Mädchen hatte in den vier Wochen genau so viel Märchen wie Tiergeschichten gelesen. Das Interesse an Comics und an Zeitungen war ebenfalls gleich groß. Der Anteil der Sagen blieb, wie auch bei den achtjährigen Kindern, konstant. Zum ersten Mal tauchten jedoch bei diesem neunjährigen Kind Mädchenbücher auf. Es hatte die Bücher von einer älteren Schwester geschenkt bekommen, die gesagt hatte, die Erzählungen wären schön. Daraufhin hatte das neunjährige Mädchen die Bücher gelesen, aber keinen großen Gefallen daran gefunden. Es sagte, Märchen oder Tiergeschichten wären doch besser, weil die Mädchenbücher oft langweilig wären. "Nur solche sind schön, wo die Mädchen Streiche spielen oder eine Fahrt machen, auf der sie viel erleben." Um dein neunjährigen Mädchen zu gefallen, mussten die Mädchenbücher ganz einfach sein. Erzählungen, in denen sich die Kinder mit Problemen auseinanderzusetzen hatten, wurden nicht verstanden. Das neunjährige Mädchen stellte offenbar einen Übergang von der Märchenwelt der jüngeren, zu der realistischen Welt der älteren Kinder dar. Einerseits hing es noch sehr am Märchen, andererseits fand es doch schon ein wenig Gefallen an den realistischen Mädchenbüchern.

Bei den zehnjährigen Kindern waren die Märchen und Tiergeschichten nicht mehr der beliebteste Lesestoff. Sie wurden von Comics und Abenteuergeschichten abgelöst. Und zwar wurden in den vier Wochen je 15 % Märchen und Tiergeschichten gelesen und je 20 % Comics und Abenteuer. Die Lektüre der Zeitungen war stärker als bei dem neunjährigen Mädchen, die Anzahl der Sagen war gleich.

In dieser Gruppe bestand schon ein deutlicher Unterschied zwischen dem Interesse der Jungen und den der Mädchen. Die Mädchen hatten in den weit mehr Märchen gelesen als die Jungen, wogegen der Anteil der Comics, Zeitungen und   Abenteuergeschichten bei den Jungen größer war. Sagen und Tiergeschichten wurden von beiden Geschlechtern gleich viel gelesen, Mädchenbücher nur von den Mädchen.

Die Hauptlektüre der Elfjährigen waren Comics. In keiner Altersgruppe wurden so viele von diesen Seiten gelesen wie bei den elf Jahre alten Kindern. Die Märchen hatten dagegen keine große Bedeutung mehr. Der Anteil der Sagen war ebenfalls kleiner als bei den zehnjährigen Kindern. Jedoch wurden zwei bis dahin noch nicht genannte Buchtypen erwähnt, nämlich einmal so genannte Groschenhefte, zum anderen einige Jugendbücher. Bei den Heften wurden hauptsächlich Cowboy-, Indianer- und Tarzangeschichten genannt, bei den Jugendbüchern vorwiegend Reiseberichte.

Die wenigen Märchen wurden größtenteils von den Mädchen gelesen. Den Hauptteil an den Comics und Abenteuern hatten die Jungen. Bei den Tiergeschichten, Zeitungen, Sagen und Jugendbüchern war der Anteil bei Jungen und Mädchen gleich groß. Die Mädchenbücher wurden nur von den Mädchen gelesen, die Tarzan- und Cowboyhefte nur von den Jungen.

Das zwölf Jahre alte Mädchen schenkte den Mädchenbüchern die stärkste Beachtung. 50 % seiner Lektüre während der vier Wochen bestanden aus diesen Geschichten. Daneben las es aber auch Abenteuererzählungen und Comics. Der Anteil der Märchen und Tiergeschichten war kleiner als bei den elfjährigen Kindern, dafür wurden aber von dem Mädchen mehr Jugendbücher gelesen. Zeitungen und Sagen spielten keine große Rolle, wurden aber doch ab und zu zur Hand genommen. Cowboy- und Tarzanhefte hatte das Mädchen gar nicht gelesen.

Bei den dreizehnjährigen Mädchen nahm die Lektüre der Mädchenbücher bereits wieder ab. Sie wurden von den Mädchen nicht ganz ernst genommen. Die Kinder sagten, die Mädchenbücher wären "etwas albern", aber so manchmal wären sie doch ganz schön. Und so lasen sie doch eine große Anzahl Mädchenbücher. Die Zeitung spielte bei diesen Mädchen eine große Rolle, während Märchen nur gelesen wurden, um sie den kleineren Geschwistern erzählen zu können. Die Jugendbücher erfreuten sich wachsender Beliebtheit. Abenteuer wurden auch "ganz gern" gelesen, wogegen Cowboy- und Tarzanhefte von den Mädchen gar nicht beachtet wurden. Der Anteil der Tiergeschichten und Sagen war etwa gleich groß.

Der vierzehnjährige Junge hatte in den vier Wochen überwiegend Abenteuergeschichten gelesen. Aber auch andere Jugendbücher wurden von ihm gern zur Hand genommen. Märchen, Comics, Mädchenbücher und Gro­schenhefte befanden sich gar nicht unter dem von ihm genannten Lesestoff, dagegen zeigte er Interesse an Zeitungen und Sagen. Tiergeschichten wurden von dem Jungen nur noch wenig gelesen. Man sieht also, dass er zwar die ausgesprochene Kinderliteratur nicht mehr las, aber noch kein Interesse an der Erwachsenenlektüre hatte.


IV. Untersuchungen mit dem Bücherkatalogtest von M. Tramer

a) Aufbau und Sinn des Testes

Der zweite Teil der Untersuchungen in Eilum bestand aus einem Test. Hierfür wurde der "Bücherkatalogtest" (B-K-T) von Dr. med. und phil. M. Tramer verwendet. Dieser 3-K-T beruht auf einer freien Buchtitelwahl und dient der Feststellung von Leseinteressen. Dem Prüfling wird eine Liste von Buchtiteln vorgelegt, die aus sonst benutzten Bücherkatalogen, besonders aus Schulbibliothekskatalogen, zusammengestellt wurde. Die Buchtitel sind nummeriert. Aufgabe des Prüflings ist es, zehn Bücher zu wählen, die er gern lesen möchte oder die ihn interessieren. Er braucht nur die Nummern zu notieren. Hiermit soll verhindert werden, dass schreibungewandte Kinder zu lange mit dem Schreibakt beschäftigt sind, was die Wahl ungünstig beeinflussen würde. Der Prüfling muss außerdem unbedingt den ganzen Katalog durchsehen, womit vermieden werden soll, dass bequeme, Anstrengungen und Anforderungen aus dem Wege gehende Prüflinge sich mit der Wahl von zwei, drei Buchtiteln begnügen, die auf der ersten Seite sind. Andererseits ist die Anzahl der zu wählenden Bücher beschränkt, um ein uferloses Aussuchen zu unterbinden. Nach der Wahl der Buchtitel findet eine Aussprache zwischen dem Tester und dem Prüfling statt, bei der es hauptsächlich auf die freien Assoziationen des Prüflings ankommt.

Der Bücherkatalog von M. Tramer besteht ursprünglich aus 43o Buchtiteln. Da diese Anzahl für Schulkinder zu groß erschien, wurde der Katalog zum Zweck dieser Arbeit auf 12o Buchtitel gekürzt. Der Verfasser des Testes hat zu jedem Buchtitel den Interessenvektor gesetzt, von dem anzunehmen ist, dass es gemäß psychologischen Erfahrungen hervorgerufen werde. Dabei hat M. Tramer 24 Vektoren benutzt. Und zwar:

Ab

Abenteuer, Jagd, Streiche

Arb

Arbeit

As/Ph

Astronomie / Physik

Bi

Biographien, Schicksale

Ent

Entdeckungen

Er

Erdkunde

Erz

Erzählungen

Fa

Familie, Elternhaus

Ge

Geschichte

Gld

Geldinteressen

Gt

Gesundheit

Htg

Heimatgeschichte

Htk

Heimatkunde

Hu

Humor

Kr

Krieg

Li

Liebe

M

Märchen

Mo

Moralisches

PB

Pflanzen, Blumen

Re

Religiöses

So

Soziales

Te

Technik

Ti

Tiere

Wn

Wanderungen

 

Auch diese Zahl schien, unzweckmäßig, so dass die interessenmäßig nächstgelegenen Gebiete zu 18 Vektoren zusammengefasst wurden, von denen zwei (Liebe und Gesundheit) nicht aufgenommen worden sind, da diese wahrscheinlich gar nicht gewählt worden wären:

1.

Ab, Ent

Abenteuer, Entdeckungen

2.

Arb

Arbeit

3.

As, Ph, Te

Astronomie, Physik, Technik

4.

Bi

Biographien, Schicksale

5.

Er

Erdkunde

6.

Erz, M

Erzählungen, Märchen

7.

Fa

Familie

8.

Ge, Htg

Geschichte, Heimatgeschichte

9.

Gld

Geldinteressen

10.

Htk

Heimatkunde

11.

Hu

Humor

12.

Kr

Krieg

13.

Mo, Re

Moralisches, Religiöses

14.

PB, Ti

Pflanzen, Blumen, Tiere

15.

So

Soziales

16.

Wn

Wanderungen

(17.

Li

Liebe)

(18.

Gt

Gesundheit)

 

b) Bücherkatalog

1.

Böses Gewissen

H. Franz

2.

Aus neuerer Zeit

I. Braun

3.

Der Pachthof

H. Franz

4.

In höchster Not

J. Frey

5.

Recht besteht, Unrecht vergeht

R. Roth

6.

Krieg und Frieden

L. Tolstoi

7.

Die Vergeltung

G. Nieritz

8.

Lebenskämpfe

H. Franz

9.

Sorgenkinder

M. Tramer

10.

Furchtlos und treu

H. Franz

11.

Treu bis in den Tod

G. Nieritz

12.

Das alte Mexiko

Th. Armin

13.

Ein Königssohn

H. Franz

14.

Elfchen Goldhaar

C. Helm

15.

Das Recht tun in allen Dingen

H. Brandstädter

16.

Zwei Menschen

R. Voss

17.

Der letzte Mohikaner

P. Moritz

18.

Die Alpen in Natur- und Lebensbildern

A. Berlepsch

19.

Einer vom Hause Lesa

J. Spyri

20.

Schweizer Städte und Landschaften

G. de Reynold

21.

Auf hohen Thronen. Große Herrscher und Kriegsfürsten

F. Otto

22.

Böser Leumund

E. G. Steude

23.

Aus goldenen Jugendtagen

E. Frommel

24.

Das kalte Herz

W. Hauff

25.

Der Käferfreund

H. Fleischer

26.

Der Schulmeister und sein Sohn

H. Caspari

27.

Drei berühmte Reisen um die Welt des englischen Kapitäns Cook

W. Redenbacher

28.

Im Rhonetal

J. Spyri

29.

Waldblumen

K. Stöber

30.

Trost der Witwe

S. Michant

31.

Albrecht I. und der Ursprung der schweizerischen Eidgenossenschaft

P. Wallnöfer

32.

Die Negrsklaven und der Deutsche

G. Nieritz

33.

Friede auf Erden

A. Schmitthenner

34.

George Stephenson, der Mann der Eisenbahn und der Lokomotiven

O. Horn

35.

Ausgewählte Märchen

H. C. Andersen

36.

Wilhelm von Oranienburg

O. Horn

37.

Alpenwanderungen. Fahrten auf hohe und höchste Alpenspitzen

W. Rube

38.

Die akademischen Berufe

E. Probst

39.

Unsere freilebenden Wirbeltiere

J. Schweri

40.

Die schweizerische Alpenwelt

A. Feierabend

41.

Wanderungen: Asien und Afrika

F. Hobirk

42.

Bruder Klaus von Unterwalden

A. Weisser

43.

Kriegsnot (1870)

W. Momma

44.

Nordisch-germanische Götter- und Heldensagen

J. Nover

45.

In der freien Natur

K. Russ

46.

Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Fr. Schiller

47.

Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer

Dr. Andree

48.

Aus der Welt der Arbeit

v. Weber

49.

Was brave Kinder gern haben

J. Bosshardt

50.

Die Silberflotte oder der Herr verlässt die Seinen nicht

J. Wolter

51.

Die Wunder der Urwelt

A. Zimmermann

52.

Die Banknoten

H. Franz

53.

Im afrikanischen Busch

Kapitän Mayn-Reid

54.

Der alte Gott lebt noch

H. Franz

55.

Adlerhorst

J. Bonnet

56.

Die Schweizer Geschichte in Bildern

J. Wolter

57.

Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft

J. Dierau

58.

Die Hunnenschlacht

G. Nieritz

59.

Aus allen Zonen

J. Hoffmann

60.

Die Entdeckungsreisen in alter und neuer Zeit

K. Stein

61.

Die Macht des Goldes

E. Wuttke-Biller

62.

James Watt, der Erfinder

O. Horn

63.

Wanderungen: Italien

F. Hobirk

64.

Der Herr ist mein Schild

O. Horn

65.

Heidi kann brauchen, was es gelernt hat

J. Spyri

66.

Der Kampf um den Nordpol

R. Andree

67.

Der Arbeit Segen

G. Nieritz

68.

Aus dem Jugendleben berühmter Künstler

E. Ohly

69.

Brehms illustriertes Tierleben

F. Schödler

70.

Die Bundesbriefe der alten Eidgenossenschaft

v. Ath

71.

Das Buch der Arbeit

L. Bergmann

72.

Die Sonne mit ihren Planeten und deren Monden, die Kometen usw.

v. Pelchrzim

73.

Zwei Ausbrüche des Vesuvs

O. Horn

74.

George Washington

F. Schmidt

75.

Zigeuner-Friedel

H. Franz

76.

Die Geschichte der Perserkriege

J. Günther

77.

Wilhelm Tell

G. Nieritz

78.

Robinsons Kolonie

D. Defoe

79.

Hans Conrad Escher von der Linth

O. Horn

80.

Bilder und Szenen aus Amerika

W. Grube

81.

Georg Jenatsch

A. Pfister

82.

Aus unserem Lande

J. Spyri

83.

Spartakus, der Sklavenfeldherr

R. Münchgesang

84.

Physik des täglichen Lebens

Pfaundler

85.

Entdeckungsreisen in Haus und Hof

L. Carl

86.

Kurze Entdeckungsgeschichte der Erdteile

L. Carl

87.

Die Schule der Leiden

F. Hoffmann

88.

Peter Hele, der Erfinder der Taschenuhr

Noeldchen

89.

Schneewittchen. Märchenspiel

M. Juchler

90.

Das neue Aschenbrödel

G. Nieritz

91.

Die Zaubergeige

H. Brandtstädter

92.

Die beiden Schwestern

G. Nieritz

93.

Der Waldteufel

G. Höcker

94.

Der Wunderarzt

C. Schmid

95.

Von Jagdlust, Krieg und Übermut

J. Bosshardt

96.

Die Märchen von 1001 Nacht

 

97.

Aus Wald und Heide

H. Löns

98.

Die Geschichte eines Eisenbahnwagens

Klötzel

99.

Hinter Pflug und Schraubstock

M. Eyth

100.

Ich und die Berge

T. Wundt

101.

Das große Geschäft

F. Köhne

102.

Die Falschmünzer

A. Gide

103.

Anneli kämpft um Sonne und Freiheit

O. Meyer

104.

Der Goldberg

K. Strobel

105.

Hans Huckebein, der Unglücksrabe, Max und Moritz

W. Busch

106.

Wunderfitzchen

V. Niethammer

107.

Prinz und Bettelknabe

M. Twain

108.

Feuer und Schwert im Sudan

F. Slatin

109.

Das letzte Stündlein des Papstes

H. Federer

110.

Die Welt der Pflanze

H. France

111.

Tiere der Wildnis

S. Thompson

112.

Forscherfahrten

Brehm

113.

Sternbuch für die Jugend

W. Brunner

114.

Leben und Leiden unserer Tierwelt

S. Ramseyer

115.

Pioniere der Technik

Falke, Gering usw.

116.

Die Eroberung von Mexiko

Cortes

117.

Die Pilgerfahrt nach dem Unerreichlichen

I. Kurz

118.

 Jugenderinnerungen

L. Richter

119.

Leben und Tod

G. Küffer

120.

Alles Getrennte findet sich wieder

H. Löscher

 

 

c) Die Ergebnisse

Mit dem B-K-T wurden in Eilum sechzehn Kinder (acht Mädchen und acht Jungen) im Alter von zehn bis vierzehn Jahren überprüft. Die sechs- bis neunjährigen Kinder wurden nicht beteiligt, da bei ihnen noch lesetechnische Schwierigkeiten bestanden.

Jedes Kind hatte zehn Buchtitel zu wählen, so dass das Ergebnis aus 160 Titeln bestand. Bei der Auswertung bestätigten sich die durch die vorangegangene mündliche Befragung festgestellten Leseinteressen durchaus.

Betrachtet man die Wahl der einzelnen Buchtitel, ergibt sich folgendes Bild:

Die meisten Stimmen erhielt die Katalognummer 111, nämlich acht Stimmen. Der Titel fällt in den Interessenvektor "Tiere". An zweiter Stelle folgen die Nummern 9 und 96 mit je fünf Stimmen. Nummer 9 gehört in den Interessenvektor "Familiäres", Nummer 96 zu "Märchen". Den dritten Platz nehmen mit je vier Stimmen die Nummern 13 (Märchen), 39 (Tiere), 53 (Abenteuer), 65 (Familiäres) und 75 (Biographien) ein. Die weiteren 122 Stimmen verteilen sich auf die anderen Titel, bis auf 45 Titel, die gar nicht gewählt wurden. Es ist interessant, dass alle Titel aus dem Vektor "Tiere" mindestens einmal gewählt wurden, womit dieses Gebiet das einzige ist, dessen sämtliche Nummern von den Kindern notiert worden sind. Bei allen anderen Vektoren sind einige Bücher, die nicht gewählt wurden. Auch ist es bezeichnend, dass der Schüler aus der Stadt keinen Titel aus dem Interessenvektor "Tiere" wählte, während bei allen anderen Kindern mindestens eine, oft sogar zwei oder drei Nummern zu finden sind.

Man kann also sagen, dass das größte Interesse an Tiergeschichten, Märchen, Abenteuern, Familiärem und Biographien bestand.

Betrachtet man jedoch die Ergebnisse von Mädchen und Jungen getrennt, so ergibt sich ein sehr unterschiedliches Bild:

Die Nummer 111 wurde in gleicher Weise von Jungen und Mädchen gewählt. Die Nummer 9 wurde jedoch nur von Mädchen ausgesucht. Von den fünf Stimmen der Nummer 96 entfallen drei auf die Mädchen und zwei auf die Jungen. Auch die nächsten meist gewählten Nummern wurden hauptsächlich von den Mädchen aufgeschrieben:

Nr. 13       : 4 Stimmen,                    davon 3 von den Mädchen,
Nr. 39       : 4 Stimmen,                    davon 3 von den M
ädchen,
Nr. 53       : 4 Stimmen,                    davon 2 von den M
ädchen,
Nr. 65       : 4 Stimmen,                    davon 4 von den M
ädchen,
Nr. 75       : 4 Stimmen,                    davon 3 von den M
ädchen.

Wir sehen hieraus eine weit größere Konzentration bei den Mädchen in den Vektoren "Märchen", "Familiäresund "Biographien" als bei den Jungen. Auf den Gebieten "Tiere" und "Abenteuer" sind die Interessen jedoch etwa gleich. Dagegen wählten nur die Jungen die Nummer 44, deren Titel Sagen verspricht.

Diese Zahlen geben jedoch nur die Wahl der einzelnen Katalognummern wieder. Wir erhalten ein sehr viel genaueres Bild der Leseinteressen, wenn wir die Häufung in den einzelnen Vektoren betrachten. Hierzu wurden die Kinder nach Lebensaltern in zwei Gruppen eingeteilt, in die der zehn- und elfjährigen Kinder, und in die der zwölf- bis vierzehnjährigen. So waren in der ersten Gruppe 12 Kinder (7 Jungen und 5 Mädchen) und in der zweiten Gruppe 4 Kinder (3 Mädchen und 1 Junge). Da in der Gruppe der jüngeren Kinder mehr Schüler waren, haben diese Ergebnisse größere Aussagekraft als die der Gruppe der älteren Kinder.

Die zehn- und elfjährigen Kinder wählten von den sechzehn angebotenen Vektoren vierzehn. Aus den Gebieten "Erdkunde" und "Humor" wurde kein Titel notiert.

Die 120 Stimmen verteilen sich folgendermaßen: die meisten Stimmen fallen in den Vektor "Märchen", nämlich 23, das sind 19,2 % der Stimmen. Aus dem Gebiet "Pflanzen, Blumen,Tiere" wurden 16 Titel gewählt, die 13,6 % ausmachen. Es folgen die Vektoren "Abenteuer" mit 14 Stimmen (11,6 %) und "Familiäres" mit 13 Stimmen (10,8). Diese vier Gebiete nehmen 54,2 % aller Stimmen ein. Die weiteren 45,8 % entfallen auf die Gebiete "Krieg" (6,6 %), "Moralisches, Religiöses" (6,6 %), "Geschichte, Heimatgeschichte" (6,6 %) , "Geld" (5 %} , "Wandern" (4,1 %), "Technik" (4,1 %), "Biographien" (3,3 %), "Soziales" (3,3 %), "Arbeit" (2,5 %) und "Heimatkunde" (2,5 %)

Ganz eindeutig bestand bei den zehn- und elfjährigen Jungen und Mädchen das größte Interesse an Märchen und Erzählungen. Bei der Aussprache sagten die Kinder immer wieder: "Ich finde Märchen am besten." "Ich habe die Märchen gewählt, weil man ungefähr weiß, was drin steht, und dass es wahrscheinlich schön ist." "Märchen könnte ich immerzu lesen." Nur zwei Kinder wählten gar keinen Titel aus dem Vektor "Märchen und Erzählungen". Und zwar sind es zwei Jungen, die auch bei der vorangegangenen Befragung die Märchen "nicht gut" und "langweilig" fanden.

Tiergeschichten wurden, wie schon auf Seite 64 erwähnt, von allen Kindern bis auf den Stadtjungen gewählt. AIs Grund für die Wahl der Tiergeschichten gaben die Kinder immer ihr Interesse an Tieren an. Sie erwarteten jedoch von den ausgesuchten Büchern keine Abhandlungen über Lebensweise usw. der Tiere, sondern Geschichten, in denen die Tiere treue Helfer und Freunde des Menschen sind und viel Aufregendes, Lustiges oder Trauriges mit ihnen erleben.

Drei Kinder wählten keinen Titel aus dem Vektor "Abenteuer und Entdeckungen", und zwar waren es zwei Jungen und ein Mädchen. Bei den Jungen erwartet man nach sonstigen Erfahrungen eigentlich nicht, dass sie aus diesem Gebiet kein Buch wählen. Und in diesem Fall ist das Bild etwas schief. Denn beide Jungen wählten aus dem Vektor "Religiöses und Moralisches" je einen Titel, und zwar die Nummern 42 ("Bruder Klaus von Unterwalden") und 50 ("Die Silberflotte oder der Herr verlässt die Seinen nicht"). Bei der Aussprache ergab sich, dass beide etwas Abenteuerliches und nichts Religiöses erwarteten. Der Junge, der die Nummer 50 wählte, sagte Folgendes: "Ich habe von Karl May 'Die versunkene Flotte' gelesen. Das war sehr spannend. Dieses ist sicher so ähnlich. Vielleicht haben die Silber geladen und werden von Seeräubern überfallen."

Auf die Frage, was er unter "der Herr" verstehe, antwortete er: "Das ist sicher der Kapitän, der. muss ja immer als Letzter vom Schiff gehen, wenn es sinkt." Bei dem anderen Jungen verlief die Unterhaltung ähnlich, so dass man also sagen kann, dass alle Jungen Interesse an Abenteuergeschichten hatten, während das eine Mädchen, das keinen Titel aus dem Vektor "Abenteuer" wählte, wirklich, kein Interesse für dieses Gebiet zeigte; denn bei der Aussprache erwartete es genau das, was man normalerweise aus dem Titel sehen konnte.

Fünf Kinder (vier Jungen und ein Mädchen) wählten kein Buch aus dem Gebiet "Familiäres". Bei den meisten Jungen bestand sehr wenig Sinn für häusliche Angelegenheiten. Sie machten sich größtenteils kaum Gedanken über ihre Familien. Sie nahmen sie als etwas Selbstverständliches, über das gar nicht geredet zu werden braucht, während die Mädchen schon sehr deutlich die Schwierigkeiten innerhalb ihrer Familien sahen und sich Gedanken darüber machten. So erklärt es sich, dass die Mädchen weit öfter als die Jungen einen Titel aus dem Gebiet "Familiäres" wählten.

Für alle anderen Gebiete bestand im Vergleich zu diesen vier Gebieten wenig Interesse, da sie zum großen Teil für die Kinder unbekannt waren, wie zum Beispiel die Vektoren "Geschichte", "Erdkunde", "Humor", "Wandern" und "Biographien".

Interessant ist, dass die beiden Bauernjungen als einzige je einen Titel aus dem Vektor "Arbeit" wählten. Alle anderen Kinder gingen über die Titel, in denen etwas von Arbeit vorkam, schnell hinweg, soweit das während des Testes beobachtet werden konnte. Die beiden Kinder der Landwirte wussten bereits ganz genau, dass ihre Väter hart arbeiten mussten, um jetzt einen ansehnlichen Hof zu besitzen. Und sie waren die einzigen Kinder, die freiwillig bei der Arbeit auf den Feldern halfen. Für sie war die Arbeit bereits ein Teil ihres Lebens, so dass einer der beiden antwortete, als ich ihn nach seinen Interessen an Büchern fragte: "Ja, wissen Sie, ich bin Bauer, und da gibt es viel zu tun. Ich kann nicht dauernd sitzen und lesen."

Trennt man die Ergebnisse der Mädchen von denen der Jungen, erhält man zwei vollkommen verschiedene Bilder.

Die Mädchen wählten von den sechzehn angebotenen Vektoren nur zwölf. Sie notierten keinen Titel aus den Gebieten "Heimatkunde", "Humor", "Erdkunde" und "Arbeit". Die Jungen ließen dagegen nur zwei Vektoren ("Humor" und "Heimatkunde") völlig unbeachtet.

Bei den Mädchen fällt der ausgesprochen hohe Prozentsatz der gewählten "Märchen und Erzählungen" ins Auge, nämlich 26 %. Diese Prozentzahl ist somit die höchste, die bei den Untersuchungen mit dem Bücherkatalogtest vorkommt. Und auffallend ist, dass die zehn- und elfjährigen Mädchen aus dem Gebiet "Familiäres" noch eine große Anzahl Titel notierten, nämlich 20 %. Es folgen dann die Vektoren "Pflanzen, Blumen, Tiere" (12 %) und "Abenteuer, Entdeckungen" (8 %). Diese vier Vektoren nehmen 64 % der gewählten Bücher ein. Bei den Jungen nehmen die gleichen vier Gebiete nur 44,6 % ein, die sich folgendermaßen verteilen: "Märchen, Erzählungen" 14 %, "Abenteuer, Entdeckungen" 14 %, "Pflanzen, Blumen, Tiere" 12,4 %, "Familiäres" 4,2 %.

Die Mädchen konnten natürlich aus den übrig gebliebenen Vektoren nur wenige Titel wählen, so dass die Prozentzahlen niedrig sind. Sie betragen: "Geld" 8 %, "Geschichte, Heimatgeschichte" und "Astronomie, Physik, Technik" je 6 %, "Wandern" und "Biographien" je 4 %, "Moralisches, Religiöses", "Krieg" und "Soziales" je 2 %.

Bei den Jungen sind die restlichen Prozentzahlen höher, da sie aus den ersten vier Vektoren nicht so viele Titel wählten. "Krieg" und "Moralisches, Religiöses" je 1o %, "Geschichte, Heimatgeschichte" 9,1 %, "Astronomie, Physik, Technik" und "Wandern" je 5,7 %, "Heimatkunde" 4,2 %, "Soziales" 4 %, "Arbeit" 3 %, "Geld" 2,8 % und "Biographien" 2,5 %.

Das Leseinteresse der zehn- und elfjährigen Mädchen war also wesentlich anders als das der gleichaltrigen Jungen.

Man sah bei den Mädchen eine Konzentration auf einige Gebiete, wogegen das Interesse der Jungen gestreuter war. Wie schon erwähnt, nahmen bei den Mädchen vier Vektoren 64 % ein. Um die gleiche Prozentzahl bei den Jungen zu erhalten, müssen sechs Vektoren herangezogen werden.

Bei diesem Test bestätigte sich auch, dass das Interesse der Jungen am Märchen nicht mehr so groß war wie bei den Mädchen, dass die Jungen aber dafür sehr viel lieber Abenteuergeschichten lasen. Auf Grund von Beobachtungen kann man sagen, dass das Interesse der zehn- und elfjährigen Jungen an Abenteuern größer war als am Märchen, obwohl sie in beiden Vektoren die gleiche Anzahl an Titeln wählten. Doch notierten sie auch 10 % aus dem Vektor "Moralisches, Religiöses" und erwarteten eigentlich gar nichts in dieser Hinsicht, sondern irgendetwas Abenteuerliches, so dass man einen Teil aus diesem Vektor zu den Abenteuern zählen kann. Damit ist dann die Zahl der "Abenteuer und Entdeckungen" größer als die Zahl der "Märchen und Erzählungen".

Es ist interessant, dass die Mädchen aus dem Gebiet "Familiäres" 20 % und aus dem Gebiet "Geld" 8 % wählten, was zusammen 28 % beträgt, die Jungen dagegen aus beiden Vektoren zusammen nur 7 % notierten. In diesen Zahlen zeigt sich, dass sich die Mädchen schon sehr früh von Familie und Haushalt angezogen fühlten. Die Mädchen in Eilum wurden auch viel häufiger zu Arbeiten im Haus oder auf dem Hof als die Jungen herangezogen. Oft lag schon die ganze Verantwortung für den Einkauf und die Zubereitung der Mahlzeiten bei den Mädchen, so dass sie früh lernten, mit Geld umzugehen, während die Jungen nur auf ihr Taschengeld zu achten hatten. So war es ganz selbstverständlich, dass die Mädchen größeres Interesse an Büchern aus dem Vektor "Familiäres" hatten als die Jungen.

Auch in der Einstellung zum Krieg zeigte sich schon ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern. Die Jungen sagten als Begründung ihrer Wahl einer Kriegsgeschichte: "Ein Krieg ist spannend." "Mein Vater erzählt viel davon, wo er Soldat war. Das höre ich gern, weil es so aufregend ist." "Ich bin immer ganz aufgeregt, wenn sie im Film Krieg zeigen, dann drücke ich immer für eine Partei die Daumen, damit sie gewinnt. Am liebsten wäre ich ja dabei." "Ich finde Soldaten schick." Im Gespräch stellte sich heraus, dass sich die Jungen überhaupt keine Gedanken über die Folgen eines Krieges machten, sie fanden alles "schick" und "toll". Die Mädchen hatten größtenteils Angst vor einem Krieg. Sie sagten: "Ich finde es nicht schön, wenn Menschen totgeschossen werden." "Meine Mutter erzählt immer, wie schrecklich es im Krieg war, und das möchte ich nicht erleben." "Ich höre im Fernsehen immer Nachrichten, und da reden sie oft vom Krieg, und meine Eltern sagen immer, dass wir bestimmt alle sterben, wenn die Russen kommen." "Wenn im Film etwas vom Krieg ist, gucke ich meistens weg, weil das so ekelig ist, wenn sie da schießen und sterben." So ist es zu verstehen, dass die Jungen viele Titel aus dem Vektor "Krieg" wählten, während nur ein Mädchen eine Kriegsgeschichte notierte (Nr. 43, Kriegsnot). Aber auch bei diesem Titel legte das Mädchen die Betonung mehr auf Not als auf Krieg, so dass man ihn in diesem Fall besser zu dem Vektor "Moralisches" zählt, womit die Mädchen dann keine Kriegsgeschichte gewählt hätten. Die Jungen dagegen notierten sieben Titel aus dem Vektor "Krieg", das sind 10 %.

Auf allen anderen Gebieten bestand zwischen Jungen und Mädchen noch kein so auffallender Unterschied. Auch auf dem Gebiet der Technik nicht, bei dem man eigentlich annehmen müsste, dass die Mädchen gar kein Interesse hätten. Doch während des Landschulpraktikums stellte ich wiederholt fest, dass die Mädchen in manchen technischen Dingen besser als die Jungen informiert waren.

So kann man sagen, dass die Interessen der zehn- und elfjährigen Jungen und Mädchen teils noch gleich waren, teils aber auch schon einen großen Unterschied zeigten.

Die zwölf- bis vierzehnjährigen Jungen und Mädchen wählten von den sechzehn angebotenen Vektoren nur elf. Nicht gewählt wurden die Gebiete "Arbeit", "Humor", "Soziales", "Moralisches, Religiöses" und "Erdkunde". Daher zeigten sich natürlich in den anderen gewählten Vektoren hohe Prozentzahlen.

Das größte Interesse bestand bei dieser Gruppe offensichtlich an Abenteuern und Entdeckungen. Die Kinder wählten 22,5 % aus diesem Gebiet. Es folgte der Vektor "Pflanzen, Blumen, Tiere" mit 20 %. Erst an dritter Stelle lagen "Märchen und Erzählungen" mit 17,5 %. Die nächsten Gebiete waren "Technik" und "Wandern" mit je 7,5 %, dann folgten "Familiäres", "Krieg", "Geschichte, Heimatgeschichte" und "Biographien" mit je 5 % und "Geld" und "Heimatkunde" mit je 2,5 %.

Es zeigte sich in dieser Altersgruppe eine noch größere Bestimmtheit in der Wahl der Titel. Den größten Raum nahm hierbei der Vektor "Abenteuer, Entdeckungen" ein, nämlich 22,5 %. Dabei wählten alle Kinder mindestens einen Titel, aus diesem Gebiet. Und zwar ist interessant, dass sich bei jedem Kind die Anzahl der Abenteuer umgekehrt proportional zu der Anzahl der Märchen und Erzählungen verhielt. Die Kinder, die nur einen Titel aus dem Vektor "Abenteuer" wählten, notierten drei oder vier Bücher aus dem Gebiet "Märchen, Erzählungen" und umgekehrt. Doch war das Interesse an Abenteuern im Ganzen gesehen größer. Die Kinder sagten: "Abenteuer finde ich am besten, die sind wenigstens wahr. Aber Märchen sind auch mal ganz schön." "Ich weiß ja, dass es nur Märchen sind, dass es also das alles nicht geben kann, aber so zwischendurch lese ich auch ganz gern welche. Aber am besten sind Abenteuergeschichten." "Abenteuer sind spannend, Märchen sind schön. Ich finde beides gut und lese darum auch beides." Das Interesse am Märchen bestand also noch, obwohl auch die Abenteuer schon beliebt waren.

Das Interesse an der Natur war bei den zwölf bis vierzehn Jahre alten Kindern groß. Und zwar nicht nur an Tieren, sondern auch an Pflanzen. Wohl überwogen die Tiergeschichten, aber es sind einige Abhandlungen über Pflanzen gewählt worden, während bei den zehn- und elfjährigen Kindern aus dem Vektor "Pflanzen, Blumen, Tiere" nur Tiergeschichten Interesse fanden.

Das Familiäre trat bei den älteren Schülern in den Hintergrund. Man kann nicht sagen, dass für dieses Gebiet kein Interesse bestand, doch wurde das Familienleben als Selbstverständlichkeit genommen. Die Sorgen und Freuden waren etwas Alltägliches geworden, über das man keine großen Worte mehr verliert. Es interessierten eigentlich nur noch die markanten Stationen einer Familie, wie Geburt, Hochzeit und Tod.

Einige Beachtung fand auch das Gebiet "Wandern". Doch erstreckte sich dieses Interesse wohl nur auf die Lektüre, denn bei der achttägigen Klassenfahrt in die Heide war zu beobachten, dass gerade die größeren Kinder bei Wanderungen am faulsten waren und bei jedem kurzen Fußmarsch murrten.

Dagegen bestand das Interesse an der Technik auch in der Wirklichkeit. Die Kinder konnten alle mit landwirtschaftlichen Maschinen umgehen und verstanden etwas von deren Betreuung, da sie sich auch für einfache physikalische Gesetze interessierten. Die Astronomie, die ja ebenfalls in dieses Gebiet gehört, hatte gar keine Bedeutung für die Kinder.

Von dem Vektor "Krieg" fühlten sich die zwölf- bis vierzehnjährigen Kinder noch weniger angezogen als die zehn- und elfjährigen. Aus diesem Gebiet wurden gewählt: Nr. 58 ("Die Hunnenschlacht") und Nr. 116 ("Die Eroberung von Mexiko"). Bei der Aussprache ergab sich jedoch, dass das Kind, das die Nummern gewählt hatte, weniger eine Darstellung der Schlachten erwartete als eine historische Erzählung. Es sagte: "Hunnenschlacht? Von den Hunnen habe ich schon etwas gehört. Die sollen ja so entscheidend gewesen sein. Ich möchte gern noch mehr über diese Zeit wissen." "Die Eroberung von Mexiko ist wohl schwer gewesen. Die Eingeborenen haben sich bestimmt nicht alles gefallen lassen. Wie das aber nun genau vor sich gegangen ist, weiß ich nicht, möchte ich aber gern wissen. ... Da schreiben sie auch sicher, wie das früher in Mexiko war. Ist bestimmt interessant und ich möchte gern darüber etwas lesen." Man könnte also die wenigen Titel, die aus dem Gebiet "Krieg" gewählt wurden, zu dem Vektor "Geschichte" zählen.

Von Biographien wurden die Kinder auch angesprochen, und zwar mehr als die zehn- und elfjährigen. Dagegen nahm das Interesse am Geld ab. Die Anteilnahme an der Heimatkunde war bei beiden Gruppen gleich groß.

In der Gruppe der zwölf- bis vierzehnjährigen Kinder ist ein Vergleich der Interessen von Jungen und Mädchen nicht möglich, da sich nur ein Junge darunter befand. Auf die Mädchen sei jedoch näher eingegangen.

Bei den Mädchen fanden die Titel aus dem Vektor "Pflanzen, Blumen, Tiere" die größte Beachtung. Sie wählten daraus 23,3 %. Es folgten die Gebiete "Abenteuer, Entdeckungen" mit 20 % und "Märchen, Erzählungen" mit 16,6 %. Aus dem Vektor "Wandern* wählten die Mädchen 10 %, aus den Vektoren "Familiäres", "Technik" und "Biographien" je 6,6 %. An letzter Stelle standen die Gebiete "Geschichte", "Geld" und "Heimatkunde" mit je 3,3 %.

Das größte Interesse bestand, bei den Mädchen offensichtlich an Titeln aus dem Vektor "Pflanzen, Blumen, Tiere", und zwar an Pflanzen und Blumen genau so wie an Tieren. Sie sagten: "Wir haben in der Schule im Naturkundeunterricht über einige Pflanzen gesprochen, wie sie gebaut sind, wie sie leben und so. Das finde ich gut, und darum möchte ich darüber etwas lesen." "Ich sammele Pflanzen und lese daher auch mal gern etwas darüber." "Ich mag Blumen gern." Bei den Tiergeschichten trat immer wieder, wie auch bei den Zehn- und Elfjährigen, das Interesse auf. Doch nicht nur an Tiererzählungen, sondern auch an Beschreibungen von einfachen biologischen Tatsachen, wie zum Beispiel Körperbau und Lebensweise eines Tieres.

Auch die Mädchen zeigten Interesse für Abenteuer und Entdeckungen. Sie wählten aus diesem Gebiet 20 %, womit erwiesen ist, dass Abenteuergeschichten nicht nur etwas für Jungen sind.

Erst an dritter Stelle folgten die Titel aus dem Gebiet "Märchen und Erzählungen". Die Mädchen fanden zwar noch Interesse an den Märchen, doch war ihre Bedeutung nicht mehr so groß wie bei den zehn- und elfjährigen Mädchen, die 10 % mehr, also 26,6 % aus diesem Vektor notierten.

Auffallend war, dass die Mädchen auch Interesse an dem Gebiet "Astronomie, Physik, Technik" hatten, und zwar zeigten sie an diesem Vektor genau so viel Interesse wie an Familiärem und Biographien. Neben dem rein Menschlichen spielte erstaunlicherweise auch die kalte Welt der Physik und der Technik eine Rolle.

An Geschichte, Heimatkunde und Geld zeigten die Mädchen kaum Interesse. Dies ist erstaunlich. Man sollte eigentlich annehmen, dass die Heimatkunde bei den Dorfkindern eine Rolle spielte. Aber offensichtlich war dieses nicht der Fall.

Der vierzehnjährige Junge wählte seine Titel nur aus sieben Vektoren. Und zwar folgendermaßen:

2 "Abenteuer, Entdeckungen"
1 "M
ärchen, Erzählungen"
2 "Krieg"
1 "Tiergeschichte"
1 "Geschichte"
1 "Geld"
1 "Biographien, Schicksale"
1 "Astronomie, Physik, Technik"

Es fehlen die Vektoren "Familiäres", "Wandern" und "Heimatkunde", die bei den Mädchen zu finden waren Dagegen wählte der Junge zwei Titel aus dem Gebiet "Krieg", das von den Mädchen nicht beachtet wurde. Doch müsste man, wie schon auf Seite 75 gesagt wurde, die Titel in diesem Fall zur "Geschichte" rechnen, so dass man sagen kann, dass der Junge kein Interesse am Krieg zeigte.

Zu dem gewählten Märchen ist zu sagen, dass es sich um die Nummer 44 ("Nordisch-germanische Götter- und Heldensagen") handelt. Der Verfasser des B-K-T zählt diesen Titel zu den Märchen, doch wäre es vielleicht besser gewesen, einen Vektor "Sagen" einzurichten. Denn an Märchen hatte der Junge gar kein Interesse. So gibt es aber ein falsches Bild.

Die größte Beachtung fanden bei dem Jungen die Titel aus dem Gebiet "Abenteuer, Entdeckungen". Doch war er keineswegs nur in die Abenteuer verbohrt , sondern hatte durchaus auch Sinn für andere Gebiete, wie seine Wahl eindeutig zeigt.

 

C. Zusammenfassung

Aus den Untersuchungen ergab sich ein ganz anderes Bild der Kinder, als es in der maßgebenden Literatur sonst gezeichnet wird. Die Kinder waren zwar von Natur aus träge, sie brauchten auch stärkere Impulse als die Stadtkinder, um eine Leistung zu vollbringen, doch war bei richtiger Anleitung ihr Interesse an vielen Dingen genau so groß wie das der Kinder aus der Stadt. Zum Teil lassen sich diese Tatbestände aus der Struktur des Dorfes erklären, zum Teil kann man sie aber auch als Verdienst des in Eilum tätigen Lehrers ansehen.

Das literarische Interesse war bei den Eilumer Kindern unerwartet groß. Sie lasen nahezu alle gern, bei vielen Kindern war das Lesen die Lieblingsbeschäftigung. Die Einstellung der Eltern zum Lesehunger der Kinder war geteilt. Manche Eltern standen dem Interesse der Kinder durchaus positiv gegenüber, einigen war es gleichgültig. Erfreulicherweise war jedoch kein Erwachsener gegen das Lesen.

Dem Interesse an der Literatur entsprechend war auch der Bücherbesitz der Kinder.

Das Interesse an den einzelnen Buchtypen war auf den verschiedenen Altersstufen jeweils anders. Am Märchen bestand das lebhafteste Interesse bei den sechs-, sieben- und achtjährigen Kindern. Mit zunehmendem Alter wurde es laufend geringer, und zwar bei den Jungen stärker als bei den Mädchen. Es zeigte sich, dass das Märchenalter etwa bis zu den Zehnjährigen dauerte. Danach bestand ebenfalls noch Interesse am Märchen, vielleicht mehr als bei den Stadtkindern. Doch von einem Märchenalter konnte man nicht mehr sprechen, denn das Interesse an realistischen Erzählungen war mindestens genau so groß. Die Märchen wurden zwar noch beibehalten, doch setzte das Abenteueralter bei den Elfjährigen ein und dauerte bis zu den Vierzehnjährigen.

Die Comics waren vor allen Dingen bei den zehn- und elfjährigen Jungen beliebt. Nahezu alle Jungen lasen in diesem Alter mit Begeisterung Comics. In den anderen Altersgruppen war das Interesse an den Heften nicht so groß, weil die Inhalte nicht gefielen. Bildgeschichten an sich wurden von allen Kindern positiv bewertet; denn auf die Frage, ob sie eine Geschichte lieber als Buch oder als Comic-Heft lesen würden, sprachen sich 90 % der Kinder für die Comics aus. Sie sagten, sie würden viel lieber Bilder sehen, weil das schneller ginge und nicht so mühsam sei. Sie würden wohl auch viel mehr lesen, wenn sie gute Comics bekommen könnten. Die Form der Comics wurde also bevorzugt. Vielleicht wäre hier eine Möglichkeit, den Kindern Stoff, zum Beispiel aus der Geschichte, nahe zu bringen, der sonst von ihnen gemieden wird.

An Sagen bestand schon bei einem Teil der siebenjährigen Eilumer Kinder Interesse, das bei den dreizehnjährigen und vierzehnjährigen seinen Höhepunkt erreichte. Es wurden zwar im Verhältnis zu den anderen Buchtypen wenig Sagen gelesen, doch war ein Interesse auf allen Altersstufen eindeutig zu erkennen.

Die Mädchenbücher waren nur bei sehr wenigen Mädchen beliebt. Von dem größten Teil wurden sie abgelehnt. Wenn sie trotzdem gelesen wurden, geschah es nur aus Neugier. Doch waren die Mädchen meistens enttäuscht.

Groschenhefte waren glücklicherweise nicht beliebt. Von den elfjährigen Jungen wurden sie zwar zum Teil gelesen, doch erlahmte das Interesse bei den älteren rasch.

Jugendbücher wurden von einigen elf- und zwölfjährigen Kindern, von allen dreizehn- und vierzehnjährigen gelesen. Von einigen Kindern wurde bedauert, dass sie nicht viel mehr Jugendbücher in die Hand bekommen könnten.

Illustrierte wurden von dem größten Teil der Kinder gelesen, während für Tageszeitungen hauptsächlich die älteren Kinder Interesse zeigten.

Bei der Befragung über den gelesenen Stoff innerhalb von vier Wochen wurde die Stärke des Interesses an den einzelnen Buchtypen festgestellt. Dabei ergab sich, dass von den sechsjährigen Kindern die meisten Märchen gelesen wurden, von den vierzehnjährigen die wenigstens. Das Lesen der Tiergeschichten nahm bis zum neunten Lebensjahr zu, danach wieder ab. Comic strips wurden von den Sieben- bis zu den Vierzehnjährigen gelesen, der größte Anteil an Comics bestand bei den Elfjährigen. Der Anteil der Sagen blieb durch alle Jahrgänge hindurch konstant. Das Interesse an Zeitungen und Abenteuergeschichten nahm bis zum vierzehnten Lebensjahr laufend zu. Mädchenbücher stellten nur bei den zwölf- und dreizehnjährigen Mädchen einen Schwerpunkt dar. Groschenhefte befanden sich nur unter dem Lesestoff der elf Jahre alten Jungen. Der Anteil der Jugendbücher wurde von den Elfjährigen an ständig größer.

Die Interessen der Kinder waren in der Gruppe der sechs-, sieben- und achtjährigen bei Jungen und Mädchen gleich. Je älter die Kinder wurden, desto mehr strebten ihre Leseinteressen auseinander.

Bei der Auswertung des Bücherkatalogtestes wurden die gleichen Ergebnisse wie bei der freien Unterhaltung festgestellt.


 

Verzeichnis der Anmerkungen

1)           Ch. Bühler: Kindheit und Jugend, S. 2

2)           Ch. Bühler: Kindheit und Jugend, S. 305

3)           Ch. Bühler: Kindheit und Jugend, S. 305

4)           O. Kroh: Entwicklungspsychologie des Grundschulkindes, S. 135

5)           W. Hansen: Die Entwicklung des kindlichen Weltbildes, S. 278

6)           Ch. Bühler: Das Märchen und die Phantasie des Kindes, S. 5

7)           W, Hansen: Die Entwicklung des kindlichen Weltbildes, S. 368

8)           Ch. Bühler: Das Märchen und die Phantasie des Kindes, S. 21

9)           Ch. Bühler: Kindheit und Jugend, S. 305

10)       O. Kroh: Entwicklungspsychologie des Grundschulkindes, S. 135

11)       Ch. Bühler: Kindheit und Jugend, S. 223

12)       Ch. Bühler: Das Märchen und die Phantasie des Kindes, S. 6

13)       W, Hansen: Die Entwicklung des kindlichen Weltbildes, S. 372

14)       Ch. Bühler: Kindheit und Jugend, S. 305

15)       P. Bode und H. Fuchs: Psychologie des Landkindes, S. 37

16)       Ernst Heywang: Das Landkind, S. 14

17)       P. Bode und H. Fuchs: Psychologie des Landkindes, S. 37

18)       H. Hetzer: Kind und Jugendlicher auf dem Lande, S. 68

19)       Ernst Heywang: Das Landkind, S. 45

20)       Ernst Heywang: Das Landkind, S. 46

21)       H. Hetzer: Kind und Jugendlicher auf dem Lande, S. 80

22)       H. Hetzer: Kind und Jugendlicher auf dem Lande, S. 80

23)       H. Hetzer: Kind und Jugendlicher auf dem Lande, S. 76

24)       H. Hetzer: Kind und Jugendlicher auf dem Lande, S. 80

25)       H. Hetzer: Kind und Jugendlicher auf dem Lande, S. 80

 

 

 

 


Literaturverzeichnis

1.         Paul Bode und Hans Fuchs,
"Psychologie des Landkindes"
P
ädagogischer Verlag von Hermann Schroedel, Halle a.d.S.
1928, zweite Auflage

2.         Ernst Heywang
"Das Landkind"
Verlag von Ernst Wunderlich, Leipzig
1924, zweite Auflage

3.         Hildegard Hetzer und Georg Morgenstern
"Kind und Jugendlicher auf dem Lande"
Verlag Dr. Piorkowski, Lindau (Bodensee), 1952

4.         Charlotte Bühler
"Kindheit und Jugend"
Verlag von S. Hirzel, Leipzig, 1928

5.         Charlotte Bühler
"Das M
ärchen und die Phantasie des Kindes"
Verlag Ambrosius Barth, Leipzig
1929, dritte Auflage

6.         Wilhelm Hansen
"Die Entwicklung des kindlichen Weltbildes"
Kösel-Verlag, M
ünchen
1949, zweite Auflage

7.         Oswald Kroh
"Entwicklungspsychologie des Grundschulkindes"
Verlag Hermann Beyer und S
öhne, Langensalza
1944-, dreizehnte bis neunzehnte Auflage

8.        Schule und Psychologie
Jahrgang 1954, Heft 3
Blättner
"Jugend und Buch"

9.         Charlotte Bühler
"Das Seelenleben des Jugendlichen"
Verlag von Gustav Fischer, Jena
1927, vierte Auflage

10.      Engel-Marie Taacke
"Untersuchungen
über das literarische Interesse der Dorfjugend"
Schriftliche Arbeit zur 1. Lehrerpr
üfung für das Lehramt an Volksschulen
o.J.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich versichere, dass die vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe angefertigt wurde und dass ich außer der von mir angegebenen Literatur keine weitere benutzt habe. Die wörtlich übernommenen Stellen sind als solche gekennzeichnet.

 

(Rose-Marie Rodenstein)